Totensonntag, 20. November 2022 Johannes 6, 37-40

Niemand geht verloren!

Liebe Trauergemeinde,

das ist das tröstliche Evangelium dieses Sonntags.

Nichts und niemand geht verloren.

Dazu ist Christus gesandt. Allein dazu: die Lebenden und die Toten

zu behüten, zu beschützen und sie alle noch einmal neu aufzurichten.

 

Der Predigttext aus dem Johannesevangelium ist neu,

ein bislang übersehenes Juwel.

In der Übersetzung des Schriftstellers Walter Jens bringe ich es noch einmal zum Glänzen

 

Jesus spricht:

Alle Geschöpfe, die Gott mir geschenkt hat, kommen zu mir – die ganze Welt!

Und wer zu mir kommt, wird behütet sein – nicht verstoßen in die Finsternis.

Bedenkt! Ich bin vom Himmel gekommen, nicht um meinen eigenen Willen,

sondern um den Willen des Vaters zu tun, der mich gesandt hat -

seinen Willen, der von mir verlangt:

„Verliere nichts, Sohn, von allem, was ich dir gab, sondern bewahre es gut.

Wecke die Menschen auf, die in deiner Hut sind, am Jüngsten Tag.“

Dies ist der Wille des Vaters, der mich gesandt hat:

Jeder, der auf den Sohn schaut, ihm vertraut und an ihn glaubt,

wird in Ewigkeit leben unter den Himmeln

und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. (Johannes 6, 37-40)

 

Niemand geht verloren.

So will es Gott. Dazu sendet er Christus. Niemand soll verloren gehen.

Dieser Trost, liebe Gemeinde, stellt sich gegen das,

was uns gerade heute bewegt und belastet: der persönliche Verlust.

Im vergangenen Kirchenjahr starben in Bad Sobernheim

67 evangelische Gemeindeglieder.

Hochbetagte Ehepartner, Freunde auch, standen verloren an den Gräbern.

48 Verstobene waren älter als 80 Jahre und noch einmal elf zwischen 70 und 80.

Unzählige Töchter und Söhne trauerten um die Eltern.

Enkel und Urenkel bevölkerten den Friedhof und nahmen Abschied.

Gottlob, die Zahl der Jüngeren, die in den vergangenen zwölf Monaten starben,

passt in eine Hand. Aber da wiegt jeder Einzelfall bleischwer.

Die Erfahrung des Verlustes verbindet uns alle

und viele auch die Not der eigenen Verlorenheit,

die unsagbare Leere und Dumpfheit in allen Dingen, die gräßliche Müdigkeit,

die nicht nur die ersten Tage und Wochen bedrückt,

sondern manchmal nach langer Zeit wieder spürbar ist,

als sei der Tod erst gestern ins Leben getreten.

Allen Trauernden hält das Evangelium diesen Trost entgegen: Niermand geht verloren!

 

Für das Johannesevangelium ist dieser Gedanke wirklich zentral: nicht verloren gehen.

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,

auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden,

sondern das ewige Leben haben.“ (3, 16)

So lesen wir gleich am Anfang. Und am Ende das Gebet Jesu:

„Vater, ich habe sie bewahrt und keiner von ihnen ist verloren.“ (17, 12)

Und in der Mitte unser Predigttext: Niemand geht verloren, nichts und niemand.

Das wird gleich dreimal betont und doppelt heißt es: Das ist Gottes Wille.

Einzig und allein das.

Jesus, sein Sohn, sein Gesandter, sein Engel kommt nur dazu vom Himmel,

gibt nur dazu sein Leben, um diesen Willen zu erfüllen.

Kein Geschöpf – wirklich niemand und nichts – soll verloren sein.

Christus bewahrt sie – jetzt – und richtet sie auf – einst. Dieser Trost kennt keine Grenze.

 

Aber das muss einer doch glauben? Oder? - Muss er nicht!

Johannes vertritt eine Theologie ohne Wenn und Dann und ohne Aber.

Der Evangelist denkt streng von Gott her.

Dass ein Mensch nicht verloren geht, ist allein Gottes Wille und seine Tat.

Dass ein Mensch erkennt und glaubt und kommt, ist nicht seine eigene Möglichkeit,

sondern ausschließlich Gottes Geschenk und Vorbestimmung.

Vielen ist dieser Gedanke sicher fremd. Die meisten – gerade die Frommen -

rechnen mit mehr menschlichen Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten.

Unser Evanglist denkt allein von Gott her

und das ist bei Lichte betrachtet, eine große Entlastung und ein starker Trost.

Ich denke an die vielen langen Lebensgeschichten,

die wir an den Gräbern erinnerten. Wertschätzend natürlich,

aber wohl wissend, dass es in jeder Biographie Schatten und Brüche und Versagen gibt.

Jesus sagt heute: Gott rettet alle seine Geschöpfe, unabhängig von ihren Taten,

unabhängig von ihren Glauben. Schlicht und einfach, weil das sein Wille ist.

Im Buch des Johannes suchen wir vergebens nach Himmel und Hölle

und einem Gericht, das urteilt nach Lebenslohn.

Dies Evanglium erzieht uns nicht zu guten Menschen. Es tröstet uns in aller Verlorenheit.

 

So schauen wir heute auf unsere Toten. Gott lässt nicht los das Werk seiner Hände!

Er hat Christus gesandt als guten Hirten. Bei ihm geht niemand verloren.

Er bewahrt und behütet die Verstorbenen und wird sie aufrichten zu neuem Leben.

Das ist der eine Trost.

Dann schauen wir auf die Trauernden, so viele heute,

und manch einer – sicher mehr, als wir ahnen -  fühlt sich schon mitten im Leben verloren, schlicht vergessen nach dem ersten Beerdigungstrubel.

Wie lange darf man heute noch trauern?

Die Welt dreht sich schon nach wenigen Tagen weiter und denkt an anderes.

Jesus hat Trost für die Verstorbenen und spricht von der Zukunft.

Aber er hat auch Zusagen für die Trauernden und spricht von der Gegenwart.

Das ist der andere Trost.

Er verspricht den betrübten Seelen ewiges Leben,

erfülltes, sinnerfülltes Leben im Hier und Jetzt. Mitten in aller Trauer.

„Wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, hat schon das ewige Leben.“

Noch einmal: Dieser Glaube ist nicht unsere Möglichkeit,

sondern Gottes Geschenk an uns.

Niemand, der trauert, soll um Gottes Willen verloren gehen.

 

Niemand geht verloren!

 

Liebe Trauergemeinde, diesen Kehrvers habe ich von

dem bekannten Theologen und Schriftsteller Helmut Gollwitzer.

Er schloss mir mit seinem Buch „Krummes Holz – aufrechter Gang“

auch das Verständnis des Johannesevangeliums neu auf,

diese großartige Ermutigung ohne Wenn und Dann und Aber.

Helmut Gollwitzer beschließt sein Buch mit 15 Hoffnungsthesen.

Drei davon sollen am Ende dieser Totensonntagspredigt stehen.

Hört her und nehmt sie Euch zu Herzen:

 

1. Wir kommen aus Licht und gehen ins Licht.

2. Wir sind geliebter, als wir wissen.

3. Es geht nichts verloren.

 

Amen. So sei es!

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

Zurück