Persönlichkeit mit Ecken und Kanten

Vortrag zur Wirkungsgeschichte Paul Schneiders

Bad Sobernheim. „Verklärt, vereinnahmt, verdammt“ - unter diesem Titel brachte Professor Thomas Martin Schneider gut 30 Zuhörerinnen und Zuhörern die Wirkungsgeschichte des Hunsrücker Pfarrers Paul Schneider näher. Die neu gegründete Gemeinde, die seinen Namen trägt, hatte anlässlich dessen 125. Geburtstag zu dem Vortrag des ausgewiesenen Experten für Paul Schneider eingeladen.  

„Er war eine „Persönlichkeit mit Ecken und Kanten.“ So beschrieb Thomas Schneider die historische Gestalt des Pfarrers von Dickenschied und Womrath, der 1939 von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Buchenwald ermordet wurde. Der Professor für Kirchengeschichte an der Universität Koblenz-Landau mit dem Forschungsschwerpunkt kirchliche Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts warf dabei manch kritischen Blick auf Deutungsversuche des Handelns eines Theologen, der sich dem totalitären Machtanspruch des Nazi-Regimes widersetzte und sich allein der Botschaft Jesu Christi verpflichtet fühlte.

Die Erinnerung an den „Prediger von Buchenwald“ begann 1953 mit dem gleichnamigen Buch, herausgegeben von Schneiders Witwe Margarete. Sie widmete ihr Leben dem Andenken ihres Mannes, wobei seine Hingabe an das Evangelium im Mittelpunkt stand. Es gründete sich die „Pfarrer-Paul-Schneider-Gesellschaft“, die bis heute stark darauf bedacht ist, sein Ansehen als tief Christus-gläubiger Mensch zu bewahren. Hier sah Thomas Schneider das Bestreben, Person und Handeln seines Namenskollegen zu verklären.

Vereinnahmt wurde Paul Schneider dagegen von einer ganz anderen Seite. Obwohl evangelischer Pfarrer, stellte ihn die DDR-Propaganda in eine Reihe mit kommunistischen Widerstandskämpfern wie Ernst Thälmann. „Er wurde als Antifaschist, Wegbereiter der DDR und Kronzeuge gegen die Bundesrepublik dargestellt“, erläuterte Thomas Schneider und verwies unter anderem auf einen Briefmarken-Block zu Ehren von Widerstandskämpfern. In den Augen des Kirchenhistorikers kam dies einer Vergewaltigung Paul Schneiders gleich. Doch auch die Gegner des DDR-Regimes entdeckten Paul Schneider für sich. Historiker zogen Vergleiche mit dem Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich aus Protest gegen die Unterdrückung von Christinnen und Christen in der DDR öffentlich selbst verbrannte.

Über die Konfessionsgrenzen hinaus reichte die Annäherung an die historische Person Paul Schneider, als die frühere Bischöfin Margot Käßmann ihn für den Ökumenischen Rat der Kirchen als Vertreter des christlichen Widerstands gegen Hitler charakterisierte. Sie ordnete den Konziliaren Prozess der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung als legitimen Erben dieser Widerstandskräfte ein. „Es ist zu bezweifeln, dass sich Paul Schneider als Kronzeuge für diesen Prozess eignet, so wichtig seine Ziele sein mögen“, betonte Thomas Schneider und wies darauf hin, Paul Schneider sei kein Pazifist gewesen.

Papst Johannes Paul II nahm den evangelischen Pfarrer im Jahr 2000 in den Kreis der Märtyrer des 20. Jahrhunderts auf. Er ist an zentraler Stelle auf einer Ikone in der Basilika San Bartolomeo in Rom abgebildet. Aus dem Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland wurde auf Wunsch der Familie Paul Schneiders ein handgeschriebener Brief freigegeben, der seither als Berührungsreliquie in Rom aufbewahrt wird. „Das war ein großes ökumenisches Ereignis“, stellte Thomas Schneider fest. Allerdings äußerte er Zweifel, dass es dem reformierten Pfarrer gefallen hätte „als katholischer Heiliger stilisiert zu werden“.

Mit deutlicher Lust am Erzählen beschrieb Thomas Schneider seinen Streit mit dem Historiker Folkert Rickert, der Paul Schneider nach anfänglicher Würdigung ein „Weltbild von beklemmender Enge“ bescheinigte, der nicht als Widerstandskämpfer zu betrachten sei. Thomas Schneider widersprach dieser Aussage: „Paul Schneider war pietistisch geprägt, er wurde aber von den Nationalsozialisten als politischer Widerständler wahrgenommen und trug an seiner Häftlingskleidung in Buchenwald den roten Winkel, der ihn als solchen kenntlich machte.“ Aus heutiger Sicht gelte es allerdings, seine strengen moralischen Ansichten zu hinterfragen. So erhielten in seiner Gemeinde bereits schwangere junge Frauen nur eine „Hochzeit zweiter Klasse“ ohne Schleier und Glockengeläut. „Paul Schneider wäre wahrscheinlich auch in unserer Zeit unbequem“, meinte der Historiker. „Er entspräche sicher nicht dem heutigen Mainstream.“

Marion Unger

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Die Wirkungsgeschichte von Paul Schneider, dem Namensgeber der neuen evangelischen Gemeinde, stand im Mittelpunkt eines Vortrags von Professor Thomas Martin Schneider im Bad Sobernheimer Paul-Schneider-Haus.