Kurzpredigt beim Konfirmationsjubiläum 04. Juni 2023 Bad Sobernheim

1. Mose 16, 14 – Jahreslosung

 

Sie war die erste, die ihm einen Namen gab:

„El Roi – Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Bis dahin sagten alle nur „Gott“, was kein Name ist

sondern eine Gattungsbezeichnung wie „Mensch“, dazu meist in der Mehrzahl stehend.

Nun aber: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“

Voll staunender Dankbarkeit. Der erste Name. Einer von tausend.

 

Und ihr Name?

Man nannte sie nur „Hagar“. Das heißt: die Fremde. Auf Hebräisch wie auf Arabisch.

Einfach nur: die Fremde.

Auch das kein Name, wie ihn Vater und Mutter voll  Stolz und Liebe in die Wiege legen.

Vielmehr eine distanzierte Bezeichnung für eine Frau,

die nicht dazu gehörte und meist übersehen wurde.

Hagar war die erste, die Gott einen Namen gab, die erste Theologin der Bibel.

„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ - Die Jahreslosung 2023.

Und es wird Zeit, auf diese Frau zu sehen, deren Geschichte den meisten hier

so fremd sein dürfte wie ihr Name.

 

Hagar war ein junges Mädchen aus Ägypten.

Sie lebte als Zwangsarbeiterin, als Sklavin in den Zelten Abrahams.

Wie sie dahin kam, verrät die Bibel nicht.

Als Abraham und Sarah trotz aller Verheißung kinderlos blieben,

schickte Sarah Hagar zu Abraham. Eine uralte Form der Leihmutterschaft.

Nur ertrug Sarah dann den Anblick des schwangeren Mädchens nicht, drangsalierte sie.

Da lief Hagar fort, Richtung Ägypten, durch die Wüste.

Als sie an einem Brunnen rastete, fand sie ein Engel

und fragte nach ihrem Woher und Wohin. Sie vertraute ihm ihre Geschichte an,

und er sagte sanft aber bestimmt: Du musst zurück, Hagar. Du kannst hier nicht leben.

Aber Gottes Segen wird dich stärken. Dich und dein Kind, Ismael.

Da erfand Hagar einen ersten Namen für Gott. An diesem Wüstenort:

„El Roi – Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Wir hören die Dankbarkeit mit und die Zuversicht – bis heute.

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“

 

Er wollte wirklich kommen: einer von 47 Jungen und Mädchen,

die 1948 hier konfirmiert wurden.

Er wollte kommen zu seinem Kronjuwelen-Jubiläum.

Wenn es denn die Tagesform zuließe. Immerhin ist er fast 90

und lebt völlig zurückgezogen in seinen vier Wänden. Seit Jahren schon.

Damals, am Sonntag Exaudi, rief ihm Dr. Lukas Vietor zu:

„Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!“

Der 71 j. Pfarrer hatte in der Nazi-Zeit tatsächlich viele Glaubenskämpfe ausgefochten.

Ob er aber noch einen Blick für die 14 jährigen Jungen und Mädchen hatte?

75 Jahre sind seither vergangen und der Jubilar fragt sich womöglich:

Wer hat mich wirklich je gesehen in meinem Leben?

Mein jugendliches Glück, meine Verantwortung als Familienvater,

meine Mühen im Beruf, meine Krisen in der Rente?

Wer sieht mich heute?! Bist du es, mein Gott? Bist du ein Gott, der mich sieht?

Was wäre das für ein Trost am Ende!

 

Sie ist nur eine von Berkemanns Konfirmandinnen.

Zwischen 1950 und 1970 segnete der strenge und streitbar Pfarr-Herr

hier 1247 Jugendliche ein.

Er prägte eine ganze evangelische Generation an diesem Ort.

Sie ist eine von ihnen und feiert nun schon ihre Gnadenkonfirmation.

Sie blieb der Kirche treu trotz Bibel und Stock in jungen Jahren.

Sie blieb dem Glauben trotzdem treu.

Vom Konfirmandenunterricht in der Volksschule damals, von der späteren Christenlehre blieb nicht viel im Gedächtnis außer dem Eindruck des Zwangs.

Allein das Vaterunser blieb unverwüstlich und tröstlich im Herzen.

Unser Vater – dieser Gottesname voller Freundlichkeit und Güte - ,

wenn der nicht gewesen wäre!

 

Du bist ein Gott, der mich sieht. Du, unser Vater!

Jeder findet im Leben seinen eigenen Namen für Gott. Gut biblisch.

Gott ist einer, aber ohne Zahl sind seine Namen: Lebendige. Allmächtiger. Lieber Gott.

Sonne der Gerechtigkeit. Friedefürst. Mutter. Vater.

In der Hebräischen Bibel stehen an Stelle des Gottesnamens

vier unaussprechliche Buchstaben, damit wir den einen besonderen Namen

für unseren Glauben finden in einem langen, langen Leben.

Mose nennt ihn am Dornbusch: Ich- bin-der-ich-bin. Ich-bin-für-dich-da.

Und Hagar an der Quelle: Du bist ein Gott, der mich sieht.

 

Kantate 1973, der 20. Mai. Zum ersten mal konfirmiert Sobernheim

in der österlichen Freudenzeit. Nicht mehr am Palmsonntag.

56 Jungen und Mädchen ziehen mit dem neuen Pfarrer ein: Heinz Tenhafen.

Er ist unter 30. Und er spielt Gitarre! Die kirchliche Jugend wittert Morgenluft:

„Danke für diesen guten Morgen“ und „Herr, deine Liebe“.

50 Jahre ist das nun her – und beste Grüße vom Konfirmator aus Köln!

Leider konnte Dr. Tenhafen aus gesundheitlichen Gründen nicht reisen.

Was mir auffiel beim Blättern in den Kirchenbüchern:

1973 fehlen alle Gedenksprüche. Nur in diesem Jahr!

Einige wissen ihn womöglich noch auswendig oder haben eine Urkunde daheim.

Andere aber mögen sich heute trösten mit der Jahreslosung aus dem 1. Buch Mose:

„Du bist ein Gott, der mich sieht!“

Der mich sieht an der Schwelle zwischen Beruf und Ruhestand.

So niedrig ist sie nicht, diese Schwelle, und manch einer stolpert schmerzhaft

in die Unsichtbarkeit. Aber: Du bist ein Gott, der mich sieht!

Du bist ein Gott, der mich begleitet und der mir nahe ist im dritten Lebensabschnitt.

 

Liebe Jubilarinnen und Jubilare,

Ihr Goldenen (und Diamantenen) und Eisernen,

Ihr mit den Sträußchen für die Gnadenkonfirmation (und die Kronjuwelenkonfirmation),

 

Gott segne Euch und Eure Lieben an diesem Festtag!

Er stärke Euch in glücklichen und in bitteren Zeiten – wie Hagar.

Schließt den Namen in Euer Herz, den sie ihm gab:

„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Amen.

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

Zurück