Friedensgedanken zu Matthäus 5, 38-48 am 6. November 2022

Ich habe gelernt: Gewalt ist eine Spirale.

Von Jugend auf habe ich gelernt: Gewalt ist eine Spirale abwärts.

Sie zerstört, was sie schützen möchte.

Ich habe gelernt: „Es gibt keinen Frieden auf dem Weg der Sicherheit.“

Es gibt keinen Frieden durch Waffengewalt.

Im Studium habe ich Dietrich Bonhoeffer gelesen,

damals in der Zeit der NATO-Nachrüstung und bin auf die Straße gezogen

in Bonn und Hannover und in Bell auf dem Hunsrück.

Mit meinem lila Tuch: „Die Zeit ist da für ein Nein zu Atomraketen!“

Meine Position war Pazifismus. Zumindest nuklearer Pazifismus.

Für die militante Antiapartheidsbewegung in Südafrika habe ich schon gespendet.

Ich weiß, einige hier haben die Friedensbewegung ähnlich erlebt wie ich.

Die Mehrheit in der EKD war in all den Jahren militärskeptisch.

 

War?

Seit dem 24. Februar ändern sich Denken und Reden in besorgniserregendem Tempo.

Der Bundeskanzler sprach von Zeitenwende.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurden

unfassbare Summen für die Bundeswehr und für das ukrainische Militär beschlossen.

„Frieden schaffen mit immer mehr Waffen!“

lautete das Motto in den öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichten

und die Kirchen – die evangelische wie die katholische- schwiegen betreten,

standen wortlos vor dem Scherbenhaufen der Friedensbewegung.

 

Wo stehen wir heute?

Wie denken wir als Christinnen und Christen über Krieg und Frieden im Jahr 2022?

Das Evangelium dieses Sonntags ist eine Provokation.

Im besten und eigentlichen Sinne des Wortes:

Es ruft uns heraus aus gedanklicher Lähmung zum freien Diskurs der Kinder Gottes.

Jesus mahnt zu Sanftmut und Klugheit:

 

„Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand!

Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt,

halte ihm auch die andere Backe hin!“ Matthäus 5, 39

 

In einem besetzten Land, in einer Zeit, die vor Waffen starrte,

predigte Jesus, unser Herr, Gewaltlosigkeit.

Dem Volk, das täglich die Spirale der Brutalität erlitt, zeigte er einen besseren Weg.

„Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!“, rief er vom Berg.

Nehmt das Unrecht nicht hin, sondern wendet es aktiv um!

Haltet dem Gewalttäter die andere Backe hin! Appelliert an sein Gewissen!

Wenn zum Beispiel einer gegen dich prozessiert, um dein Hemd zu bekommen -

was seit dem Menschenrechten am Sinai streng verboten war -

gib ihm auch deinen Mantel. Damit das Unrecht unübersehbar wird.

Gewaltlosigkeit ist kein passiver Weg. Sie ist eine aktive Alternative.

Liebe Gemeinde, da ist Jesus ganz eindeutig und in seiner Haltung nicht zu relativeren.

 

Und wir? Die wir uns nach seinem Namen nennen?

Wie gehen wir mit seinen Worten um

angesichts des himmelschreienden Angriffskriegs in der Ukraine?

In der vergangenen Woche lud der Pfarrkonvent unseres Kirchenkreises

Clemens Ronnefeldt ein. Clemens Ronnefeldt ist Friedensreferent des Internationalen Versöhnungsbundes in Deutschland. Ein katholischer Theologe.

Die Pfarrerinnen und Pfarrer wollten gemeinsam ihr Gewissen schärfen,

denn – abgesehen von den Fürbitten für die Ukraine – sind viele unsicher,

was sie denken und predigen sollen. Ich auch.

 

Gleich zu Beginn stellte Clemens Ronnefeldt klar:

Es gibt keine Entschuldigung, keinerlei Verständnis für Putins völkerrechtswidrigen Krieg.

Aber er sagte auch: Wir müssen die Logik der Gegenseite mitbedenken,

wenn wir nach einem Ausweg suchen aus der Spirale der Gewalt.

Und der Friedensreferent hielt uns eine kompakte Geschichtsstunde,

die ich nun sehr sehr knapp zusammenfasse. Eine Sache vor allem merkte ich mir:

Ronnefeldt erinnerte daran, wie der damalige Außenminister Genscher mit Gorbatschow die deutsche Einheit verhandelte.

Genscher schloss damals eine NATO-Osterweiterung kategorisch aus.

Im Protokoll versprach er das feierlich, vertraglich festgelegt wurde es aber nicht.

Und es kam sehr bald anders!

Mit Zustimmung Russlands noch, was Polen, Ungarn und Tschechien betraf 1999,

mit Zähneknirschen, was das Baltikum anging 2004.

Was bedeutet es nun für Russland, wenn in Estland, 420 Km entfernt von St. Petersburg,

deutsche Panzer und Flugzeuge Manöver abhalten??

Verstehen ist nicht Verständnis, liebe Gemeinde, aber Clemens Ronnefeldt machte mir deutlich, wie sehr unsere deutsche Geschichte in den Ukrainekrieg hineinspielt,

wie nah das alles unserer eigenen Historie ist.

 

„Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand.

Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt,

halte ihm auch die andere Backe hin.“

 

Was heißt das nun? Im Herbst 2022?

Anette Kurschus, die Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland,

predigte am Reformationstag in Wittenberg vorsichtig, aber immerhin:

„Die Alternative zum gerechten Frieden darf doch nicht endloser Krieg sein!“

Clemens Ronnefeldt wurde um einiges deutlicher:

„Man kann eine Atommacht nicht militärisch besiegen!!“

Und dass eine nukleare Eskalation so nahe ist wie seit 1962 nicht mehr,

hat der US-Geheimdienst ja kürzlich offen gelegt.

Die Gewaltspirale muss durch Verhandlungen gestoppt werden.

In einer vernetzten Welt ist Sicherheit nur gemeinsam zu erreichen.

Vielleicht hilft der G 20 Gipfel in Bali weiter. Putin und Biden haben ja zugesagt.

Betet für die Geistesgegenwart des UN-Generalsekretärs und auch unserer Außenministerin!

 

Beten?

Das ist sicher nicht die schlechteste Möglichkeit,

sich nicht von der Logik der Waffen infizieren zu lassen,

sich nicht von der Kriegstreiberei etlicher Medien beeindrucken zu lassen.

Ich habe Prechts Buch über die 4. Gewalt noch nicht gelesen.

Es hat viel Kritik geerntet. Aber damit hat er wohl recht:

Die Presse in Deutschland befeuert mehrheitlich den Krieg, nicht den Frieden.

 

„Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand!

Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt,

halte ihm auch die andere Backe hin.“ - So Jesus, unser Lehrer.

 

Und was sollen die Ukrainerinnen und Ukrainer von uns denken?

Sie haben eine andere Sicht auf den Krieg

und wir haben ihnen da gar nichts vorzuschreiben.

Unsere Aufgabe ist es, denen vorbehaltlos beizustehen,

die hier Zuflucht vor Gewalt suchen.

Unsere Aufgabe ist es, an die immer noch vorhandenen pazifistischen Kräfte

in der Ukraine, in Belarus und in Russland zu denken

und für ihre Menschenrechtsarbeit zu beten.

Unsere Aufgabe ist es, die kleinsten Alternativen zur Waffenlogik groß zu machen

und öffentlich jetzt für Verhandlungen zu votieren -

ohne Verständnis für Putins Gräuel, wohlgemerkt.

 

Alles ist besser, als still zu sein und sich abzuwenden.

Als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu setzen wir auf Wege jenseits der Gewalt.

Ich denke, das habe ich von Anfang an richtig verstanden.

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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