Predigt am 20. August 2023

zu 5. Mose 4, 5-20 (Predigttext Israelsonntag)

 

Die zehn Gebote?

Birgit runzelte die Stirn: Da denke ich an meinen Konfirmandenunterricht.

Du bist nichts. Da kannst nichts. Du sollst nicht.

 

Ralf nickte: Du sollst nicht lügen. Du sollst nicht stehlen.

Du sollst nicht die Ehe brechen.

Ehrlich gesagt, fand ich das mit 14 am Interessantesten.

 

Wir lachten.

Dann sagte Sonja: Aber jetzt mal im Ernst.

Die zehn Gebote sind doch das, was uns klein macht,

woran wir nur scheitern können.

Oder habe ich Luther da falsch verstanden?

 

Wir saßen um einen Tisch und bereiteten diesen Israelsonntag vor,

den Gottesdienst für heute.

Wir: die Prädikantinnen und Pfarrer der Ev. Paul-Schneider-Gemeinde.

Ich hatte vorher schon ein bisschen recherchiert:

Den Israelsonntag gibt es schon seit dem Mittelalter.

Das Evangelium dazu: Jesus weint über Jerusalem.

Das wurde lange Zeit antijudaistisch ausgelegt:

Gott hat Israel verworfen, weil es Jesus nicht als Christus anerkannte,

und stattdessen hat er die Kirche zu seinem Volk gemacht.

Nach dem Unrecht der Nazi-Zeit, nach der Schoa, war klar,

so kann, so darf man nicht mehr denken und predigen.

Das ist unbiblisch und spielt jeder braunen Gesinnung in die Hände.

Der Israelsonntag wurde beibehalten, aber insbesondere in Deutschland zum Bußtag.

Dann – zum Millenium – ein neuer Ansatz, ein zweites Evangelium für diesen Sonntag:

Jesus freut sich mit einem Schriftgelehrten am höchsten Gebot:

Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

 

Hinter diesem Vorzeichen – dem der Mitfreude der Kirche an Israels Geboten -

steht nun der Predigttext dieses Israelsonntags: 5. Mose 4.

Wir haben ihn schon als Lesung gehört.

Ehe Israel nach vierzig Wüstenjahren ins verheißene Land zieht,

tritt Mose ein letztes Mal als Lehrer vor das ganze Volk.

(Das ist der Erzählrahmen des Buches, das selbst erst viel später,

im babylonischen Exil, verfasst wurde).

Mose erinnert das Volk an die Befreiung aus Ägypten und an den Bund am Horeb

und an die zehn Gebote.

Ich wiederhole nur zwei Verse aus dem langen Predigttext:

 

„Mose sagt: Wenn die Völker diese Gebote hören werden, dann müssen sie sagen:

Was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk!

Was für kluge und gerechte Gebote!“

 

Die Völker, das sind wir, die Christen,

sagte ich in die Runde der Predigtvorbereitung.

Wir lernen von Israel, dass die Gebote einem befreiten Volk galten.

Wir lernen, dass die Gebote dazu gut sind, die Freiheit zu erhalten.

Damit das gelobte Land kein neues Ägypten wird…

 

Moment mal! Ralf bremste meinen Begeisterungssturm.

Du kommst vielleicht aus dem reformierten Bad Sobernheim, aber vergiss nicht:

Du predigst im lutherischen Abtweiler und Staudernheim.

Wir sind fusioniert, aber wir ticken unterschiedlich, allein auf Grund unserer Tradition.

Luther - zum Beispiel – hat im Kleinen Katechismus alles,

was an die Befreiungsgeschichte Israels erinnert, aus den Geboten gestrichen.

Da bleibt dann nur zehn Mal ein freudloses „Du sollst nicht!“,

an dem man nur scheitern kann, vielleicht sogar soll.

Denn Luther setzte dem Gesetz das Evangelium entgegen

und verteufelte jede Werkgerechtigkeit.

Das steckt in Abtweiler und Staudernheim doch fest in den kirchlich geschulten Köpfen.

 

Hm. Ratlos schaute ich in die Runde:

Wie soll ich dann am besten die Freude und Liebe zu den Geboten predigen

in den lutherischen Orten unserer Kirchengemeinde?

Wie kann ich am schönsten verdeutlichen,

dass die Gebote Freiräume eröffnen bis heute und

dass sie tatsächlich beherzigt und verwirklicht werden sollen?

Vielleicht helfen Beispiele, schlug Birgit vor,

die im Übrigen im lutherischen Altenbamberg aufwuchs.

Wie wäre es mit dem Feiertagsgebot?

Oder mit dem Elterngebot, meinte Sonja,

die im lutherischen Meisenheim den Konfirmandenunterricht besuchte.

Die Vorschläge gefielen mir, zumal im 5. Buch Mose Kapitel 5

die zehn Gebote ausführlich wiederholt werden.

 

„Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligst.

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun,

aber am siebten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes.

Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter,

dein Fremdling, dein Knecht…

Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst

und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand

und ausgerecktem Arm.

Darum hat dir der HERR, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.“

 

Das ist die biblisch-reformierte Langfassung, Ihr lieben Lutheraner.

Überlegt mal, wie wunderbar dieser Rat ist:

Wir sollen uns einen Tag in der Woche freihalten von Arbeit, von Hausaufgaben u.v.a.m.,

damit wir noch eine Ahnung davon behalten, dass wir zur Freiheit berufen sind!

Wie weise! Wie klug, dieses Israel mit seinen Geboten!

 

Oder – Sonjas Vorschlag:

 

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,

wie dir der HERR, dein Gott geboten hat,

auf dass du lange lebest und dir’s wohlergehe in dem Land,

dass dir der HERR, dein Gott, geben wird.“

 

Leider hat Luther im Kleinen Katechismus auch dies schöne Versprechen gestrichen.

Das Ganze wurde zum erhobenen Zeigefinger für Kinder und Jugendliche:

Du sollst den Eltern gehorchen!!!

Israel war sich immer einig:

Es ist ein Gebot für Erwachsene im Umgang mit ihren alten Eltern.

Und weil es das Schwerste ist, ist es das einzige mit einer Verheißung:

...auf dass du lange lebst!

Überlegt mal, wie wichtig und wie schwer dies Gebot ist in einer alternden Gesellschaft.

Gott will, dass wir die Alten und Schwachen ehren. Das sollen wir wirklich tun!!

 

Liebe Gemeinde, heute feiern wir den Israel-Sonntag.

Wir Christen – egal ob lutherisch oder reformiert -

entdecken die biblischen Gebote in ihrem Reichtum neu.

Die Tora- wie Israel sagt.

Und danit meint es nicht Gesetze, die uns überfordern und kleinmachen,

sondern Weisungen, die uns tatsächlich fordern, aber groß machen

als befreite Christenmenschen.

Und so möchte ich sie den Konfis von heute nahebringen:

Staunt nur, wie klug und verständig dies Volk Israel ist.

Staunt nur, wieviel Weisheit und Aktualität in seiner Tora steckt!

Amen.

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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