Palmsonntagsgedanken

Gedanken zu Johannes 12, 12-19 von Ulrike Scholtheis-Wenzel

Sie ziehen ihm entgegen.Sie haben gehört: Jesus kommt!

Und: Er hat einen aus den Toten ins Leben gerufen.

Lazarus! Das siebte Zeichen. Das letzte und größte.

Sie ziehen ihm entgegen, verlassen ihre Trauerhäuser und Sorgentempel,

ihre Trutzburgen und Angsthöhlen.

Sie rufen laut: „Hosanna!“ Zu deutsch: Hilf doch! Rette uns!

Ein Gebetsschrei in aller Munde. Hosanna.

Und dann: „Gesegnet , der da kommt im Namen des Ewigen!“

Ein Psalmwort. Damit grüßen sie jeden Pilger, Jesus vielleicht schon zum vierten Mal.

Immer wieder zog er in Jerusalem ein.

Diesmal, beim letzten Mal, rufen sie noch: „Der König Israels!“

und winken mit Palmzweigen hoffnungsfroh und irgendwie siegesgewiss.

Sie ziehen ihm entgegen. Sie wollen ihn heimholen,

den König der Auferstehung und des Lebens.

 

Liebe Gemeinde, mit diesem Evangelium wird Palmsonntag zum Präludium für Ostern.

Johannes erzählt: Viele ziehen dem entgegen, der gesagt hat

„Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“

Kirchgänger:innen wissen, der Einzug Jesu nach Jerusalem

begegnet uns zwei Mal im Jahr: am 1. Advent (Tochter, Zion , freue dich…)

und am Palmsonntag (Dein König kommt in niedern Hüllen. - Unbekannt?)

Am 1. Advent führt Matthäus Regie,

führt eine triumphierende Menge hinter Jesus her in die Heilige Stadt.

Am Palmsonntag lesen wir Johannes. Gegengleich: Viele ziehen Jesus entgegen.

All die Trauernden und Gedrückten, die Kranken,

all die, die von Lazarus gehört haben, davon dass der Tod nicht das Ende sein muss.

Reiht Euch heute nur ein! Mischt Euch unter dies einfache Volk

mit seinen schlichten Wahrheiten und Wünschen.

Zieht mit ihnen Jesus entgegen. Dem König des Lebens. Dem König Israels.

 

Jesus hört, was sie rufen: Der König Israels! Und sagt kein Wort dazu. Er wiegelt nicht ab.

Er weist die Leute nicht zurecht. Sie haben ja Recht!!

Jesus gibt dem Königstitel nur eine besondere Pointe. Durch ein beredtes Zeichen:

Jesus findet ein Eselchen und setzt sich darauf.

So nebenher und fast zufällig erzählt Johannes.

Jesus findet ein Eselchen (Verkleinerungsform!). Denkt mal an Matthäus!

Da wird der Einzug bis ins Kleinste geplant und inszeniert.

Zwei Jünger werden vorgeschickt, das Reittier zu besorgen. „Der Herr bedarf seiner!“

Dann legen die Leute Kleider auf den Esel und das Füllen. Mit einemmal sind es zwei!

Viele reißen Zweige von den Feldern und säumen damit jubelnd die Straße.

Da wird der alte Sacharja in allen Einzelheiten zelebriert. Bei Matthäus.

Johannes ist viel zurückhaltender. Jesus findet ein Eselchen,

ein etwas mickriges Geschöpf womöglich und reitet darauf.

Natürlich soll auch das an den Propheten erinnern – aber ohne jeden Triumph.

Sacharja wird kurz zitiert mit einer bemerkenswerten Nuance:

„Fürchte dich nicht, Tochter Zion. Sieh doch: Dein König kommt.“

Fürchte dich nicht. - Das steht nicht beim Propheten, nur bei Johannes,

der die Traurigen und Verzagten in den Blick nimmt. Uns -

Fürchtet euch nicht! Zieht eurem König entgegen. Eurem Leben. Eurer Auferstehung.

 

Dass Jesus König genannt wird, ist ganz zentral in der Johannespassion.

Das Volk zieht ihm entgegen und holt ihn als König in seine Stadt.

Damit beginnt sein Leidensweg.

Dann das Verhör. Der Dialog mit Pilatus:

„So bist du dennoch ein König? - Du sagst es. Ich bin ein König.

Ich bin geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge.“

(Erinnert Ihr Euch? - Paul Schneiders Konfirmationsspruch!).

Schließlich die Soldaten, die ihn als König verkleiden und mit einer Dornenkrone quälen:

„Sei gegrüßt, König der Juden!“ Und sie schlugen ihm ins Gesicht.

Natürlich schwingen im Titel politische Hoffnungen mit, mehr aber noch persönliche.

In jeder Hinsicht interpretiert Jesus ihn gegen alle Macht- und Allmachtsphantasien.

Anders als alle Welt. Als Armer unter Armen, als Eselsreiter ist er König.

Als der Leidende ist er König. Als Gekreuzigter noch.

INRI – Jesus von Nazareth, König der Juden.

Im Moment des Todes hält er das Leben fest, das Vertrauen auf den himmlischen Vater.

 

„Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“

Vor einer Woche starb Waltraut Kuhn.

Mit 94 Jahren rief der himmlische Vater sie in seine Ewigkeit.

Sie war unsere älteste Ehrenamtliche und ich erlaube mir heute, kurz von ihr zu erzählen.

Denn ich sehe sie unter all denen, die Jesus entgegengehen. Dem König. Dem Leben.

2004 zog Waltraut Kuhn mit ihrem Mann von Frankfurt nach Bad Sobernheim,

mit 76 von Frankfurt nach Bad Sobernheim!!

Sie wollte ihrer Tochter näher sein und deren Familie,

und auch ihrem Sohn auf dem Hüttenberg.

Im ersten halben Jahr starb binnen sechs Wochen ihr Mann.

Sie hat uns oft davon erzählt: „Was sollte ich tun? Ich musste raus! Unter Leute.“

Und sie ließ sich mitnehmen von Irmgard Herz zur AWO, in den Seniorenförderverein,

zur Kirche. Sie verließ ihr Trauerhaus und wurde Besuchsdienstmitarbeiterin.

Ich höre sie noch – lachend! - über die Straße rufen: „Ich geh die Alten besuchen!“

Da musste ich doch lächeln und stellte mir die 90 jährige als absolut positiven Geburtstagsgast vor. Als lebendiges Evangelium:

ein Gesicht, in dem tausend Fältchen lächelten. Freude in aller Beschwernis.

 

„Das verstanden seine Schüler zunächst nicht.“

Liebe Gemeinde, ich komme am Ende noch einmal auf das Evangelium zurück

und auf eine letzte interessante Pointe bei Johannes.

Das verstanden Jesu Schüler zunächst nicht, wie das alles zusammengehen sollte,

wie sich die Freude in aller Beschwernis halten kann

und wie ausgerechnet der Leidende die Krone des Lebens erbt.

Das verstanden seine Schüler nicht und auch die führenden Pharisäer

rangen nur noch die Hände. Die Studierten. Die Belesenen. Die Kerngemeinde.

Allein die einfachen Leute zogen unbeirrt Jesus entgegen

und bekannten mit absoluter Klarheit: Der König Israels! Der König des Lebens!

All diese schlichten Gestalten, die trauernden und furchtsamen Seelen

dachten und sprachen nichts als die Wahrheit.

Sie folgten ihren Herzen und ihrer Hoffnung und bekamen tausendmal Recht:

„Hosanna! Gesegnet, der da kommt im Namen des Ewigen!

Gesegnet, der Lazarus auferweckt hat! Gesegnet der Besieger des Todes.“Ihm ziehen auch wir entgegen und hoffen auf Leben – nicht später, sondern jetzt – mitten im Leiden.

Zurück