Lesung und Predigt zum 125. Geburtstag von Paul-Schneider (Gottesdienst 28.08.2022)

Lesung: Paul Schneider und Pferdsfeld – Auszüge aus der Biographie

 

Am 29. August 1897 wurde Paul Schneider in Pferdsfeld geboren.

Wenige Schritte von hier stand sein Elternhaus, in dem er einen Monat später auch getauft wurde von seinem Onkel, Pfarrer Walter Schneider.

Was verband den späteren Prediger von Buchenwald mit seinem Heimatdorf? Geben wir ihm selbst das Wort! In einem Brief für die Gemeinden Hochelheim und Dornholzhausen aus dem Urlaub in Pferdsfeld schrieb er 1931:

„Wie wohl wir daran tun, die Heimaterinnerungen, die Heimatkunde und die Heimatliebe zu pflegen, merke ich in diesen Tagen sonderlich, da ich in dem Lande weile, wo meine Wiege gestanden hat und das mir die Eindrücke der Kindheit vermittelt hat. Das Dörflein, hoch im Wiesengrund des beginnenden Hoxbachtales gebettet, der machtvoll aufgebaute Soonwald im nahen Blickfeld, die alten, niedrigen Häuschen, die Winkel und Ecken des Dorfes, die Leute, zum Teil noch die alten gestalten der Kindheit, der plätschernde Röhrenbrunnen jetzt wie einst: wie nimmt das alles die Seele in einer guten und starken Liebe gefangen, wie ruht da Leib und Seele so gern aus im Schoße der Heimat.“

Am 29. August 1897 wurde Paul Schneider in Pferdsfeld geboren.

Er war der zweite Sohn von Gustav Adolf Schneider – einem  strengen, reformierten Vater und Pfarrer – und Elisabeth Schneider – einer frommen und sangesfreudigen Mutter.

Paul Schneider wuchs hier mit seinem sechs Jahre älteren Bruder Adolf und seinem vier Jahre jüngeren Bruder Hans auf.

Als Paul Schneider 13 Jahre alt war, wechselte sein Vater auf die Pfarrstelle in Hochelheim – dem heutigen Hüttenberg – und Dornholzhausen.

Paul Schneider dachte auch später gern an Pferdsfeld und war dort zu Besuch.

Als er mit 27 Jahren auf der Suche nach einer ersten Pfarrstelle war, dachte er als gleich an Pferdsfeld. Er bewarb sich 1924 auf die Nachfolge des Pfarrers Robert Tigges, eines Jüngers von Felke und Kneipp. Unter den fünf Bewerbern entschied sich das Presbyterium Pferdsfeld aber für den jugendbewegten Pfarrer Lempfert aus Langenberg.

Für Paul Schneider galt von nun an ein Wort aus dem Johannesevangelium: „Und Gott wird dich führen, wohin du nicht willst.“ Er wurde geführt als Hilfsprediger nach Essen, als Pfarrer nach Hochelheim und Dornholzhausen, nach Dickenschied und Womrath. Und dann ins Gefängnis nach Simmern, Kirchberg, Koblenz und schließlich ins Konzentrationslager Buchenwald. Er musste sich als Mensch und Pfarrer bewähren an Orten, die er nicht selbst wählte. Und er tat das mit einer Treue, die von Kindheit an geprägt wurde und die tief in Gottes Wort wurzelte.

 

Predigt im Open-Air-Gottesdienst in Pferdsfeld zum 125. Geburtstag von Paul Schneider

Die ersten Jahre prägen einen Menschen für sein ganzes Leben. Die Kindheit ist sein emotionales Rückgrat.

Hier – an diesem Ort – wurde Paul Schneider geboren. Vor 125 Jahren. Hier wurde er geprägt durch seine Familie, sein Dorf und seine Kirche und durch die freie Natur.

Zum 100. Geburtstag – 1997 – schuf der Kirner Künstler Karlheinz Brust eine Stele zur Erinnerung an den späteren Prediger von Buchenwald.

Die erste von vier Relief-Tafeln stellt uns seinen Heimatort vor Augen:

Die Kirche, in der sein Vater Pfarrer war. Dort bei der Birke hat sie gestanden.
Das Pfarrhaus, das sein Vater baute im Jahr seiner Geburt. Da drüben beim Nussbaum.
Und dann noch Rathaus und Schulhaus, gerahmt von Weizen und Wald.

Paul Schneider – den Jugendlichen – sehen wir von hinten, wie er sich dem Kreuz Christi zuwendet und der Taube des Heiligen Geistes.
Paul Schneider verließ diesen Ort mit dreizehn, als sich sein Vater – wegen der Krankheit seiner Mutter - als Pfarrer nach Hochelheim versetzen ließ.
Paul Schneider verließ sein Kindheitsparadies schon vor der Konfirmation, aber es prägte ihn sein Leben lang: Land und Leute, Frömmigkeit und Freiheit.
Das behielt er stärkend im Rücken.

Darum wundert es nicht, dass Paul Schneider mit 27 Jahren am liebsten hier Pfarrer werden wollte, wo ihm jedes Haus, jeder Winkel vertraut war und er noch so viele Menschen kannte.
Er versprach sich davon Halt, und den suchte und brauchte er damals sehr!
Mit 27 Jahren war er sich seines Weges ganz und gar nicht sicher. Er wusste nicht, sollte er wirklich Pfarrer werden?
Manchmal wollte er am liebsten auswandern nach Amerika wie sein Bruder Adolf.
Er wusste nicht, sollte er wirklich heiraten? War er der großen Liebe von Margarethe wirklich gewachsen?
Vielleicht wenn er zurück gehen könnte ins Dorf seiner Kindheit? Er bewarb sich dort.

Wir hörten schon: Das Pferdsfelder Presbyterium entschied anders.
Vielleicht weise, denn Gott führt uns selten zurück auf allzu vertrautes Terrain, sondern in der Regel nach vorn in ein neues Land.

Der bekannte Pfarrer Helmut Gollwitzer -  wenige Jahre jünger als Paul Schneider - überschrieb seine eigene Biographie mit den Worten „ Und führen, wohin du nicht willst“.
Das sagte Jesus zum Abschied zu Petrus: „Gott wird dich führen, wohin du nicht willst.“
Und ich finde, es passt auch sehr genau zum weiteren Weg von Paul Schneider.

Nach der erfolglosen Bewerbung in Pferdsfeld schickte ihn seine Kirche als Hilfsprediger nach Essen, in die Großstadt. Eine harte Bewährungszeit!
Weitere Bewerbungen in Reiskirchen und Niederkleen waren auch vergebens.
Paul Schneider wurde zum Pfarrer von Hochelheim und Dornholzhausen berufen.
Das Presbyterium dort wählte ihn wenige Tage nach dem Tod seines Vaters zu dessen Nachfolger. Einfach und kompliziert zugleich!

Dann kam die Nazi-Zeit, Paul Schneiders erster Widerspruch aus Gründen des Glaubens.
 Er wurde zwangsversetzt nach Dickenschied und Womrath.
Und schließlich brachte seine entschiedene Haltung gegenüber dem Unrechtsregime ins Gefängnis und ins Konzentrationslager.

Gott führte ihn immer wieder dahin, wohin er nicht wollte.

Paul Schneider war kein Held und suchte sich den Weg zum Martyrium wirklich nicht aus.
Er bewährte sich unter Umständen, die alles andere waren als selbstbestimmt.
Er nahm seine Lebensaufgabe an, da wo er hingestellt wurde. Fleißig und unaufgeregt.
Bis er an einem bestimmten Punkt seines Lebens Gottes Wort und Weisung ganz unwiderstehlich empfand und wusste, wofür er den Mund aufmachen musste.

Das finde ich vorbildlich und ermutigend bis heute! Wir sind doch alle keine Helden.

Aber wenn es drauf ankommt, Gottes Wort und das eigene Gewissen sprechen zu lassen und Rückgrat zu beweisen – das wäre ein Ziel.

Margarethe Schneider, die dafür lebte, dass die Erinnerung an ihren Mann wach blieb, deutete sein Leben im Nachhinein von seinem Konfirmationsspruch her.

„Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll.“ Johannes 18, 37.

Diesen Spruch sagte ihm sein Vater am Palmsonntag 1911 zu.

Wer weiß, ob das nicht eine biblische Ohrfeige war für eine geringfügige Lüge zuvor. Es ging um verbotene Beeren oder Äpfel im Garten. Wer weiß.

Aus meiner Sicht, kaum ernst zu nehmen. Anders für Paul Schneider: Ehe er Pfarrer wurde, in der Zeit, als er zutiefst unsicher war, ging ihm diese Gartenszene nach wie der biblische Sündenfall.

Ich wüsste zwar nicht, dass er hier oder später seinen Konfirmationsspruch nannte, aber das Thema Wahrheit saß seit der Kindheit tief in seiner Seele und bewährte sich in einer Zeit, die er als  junger Mann nicht ahnen konnte und an einem Ort, wohin er niemals wollte.

125 Jahre sind seit der Geburt von Paul Schneider vergangen, dreimal seine Lebenszeit.

Wenn wir uns heute an ihn erinnern, verehren wir nicht nur den unbeugsamen Zeugen der Wahrheit.
Wir denken auch an einen empfindsamen, unsicheren Menschen, selbstkritisch, manchmal fast selbstzerstörerisch.
Wir denken an einen Menschen, der nicht immer im Bekenner-Modus lebte, aber der an dem einen entscheidenden Punkt dem Unrecht im Namen Gottes widersprach und sich nicht brechen ließ.
Darauf wird es für uns immer wieder ankommen, im persönlichen Leben und in unseren Gemeinden, dass wir den Moment nicht verschlafen, an dem wir aufstehen und Nein sagen müssen um Gottes Willen.

Dass er uns dann die nötige Entschiedenheit und den Mut gibt, darum wollen wir beten.

Ein letzter Blick auf die Gedenkstele hier am Röhrenbrummen.

Auf die „Geburtstagstafel“ folgen zwei, die den Bekenner Paul Schneider zeigen, und am Ende eine, die seinen Weg zum Himmel ins Bild setzt.
Paul Schneider wendet uns sein Gesicht zu – mit geschlossenen Augen. Seine Arme streckt er dem Ewigen entgegen.
In seinem Rücken Harfenspiel und  Gesang und für den, der in Buchenwald starb, das Eichenlaub von Pferdsfeld. Da schließt sich künstlerisch der Kreis.

Das, was Paul Schneider in den ersten Jahren prägte - die biblischen Predigten seines Vaters, der Gesang seiner kranken Mutter, die Leute vom Dorf und die herrliche Natur stärkten sein Rückgrat.

Und er ließ sich führen, wohin er nicht wollte und bewährte seinen Glauben an dem einem entscheidenden Punkt. Amen.

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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