Himmelfahrt 2022- Gedanken zu Daniel

Kurzpredigt zu Himmelfahrt

Liebe Gemeinde, als Israel fremd war im eigenen Land,

als man Jüdinnen und Juden ihre Identität nehmen wollte und ihren Tempel -

im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeit - ,da entstand das Buch Daniel

als hoffnungsvolle Verfremdung der eigenen Geschichte.

Daniel war ein legendäres Vorbild aus dem babylonischen Exil.

Er hatte den Glauben an den einen Gott treu bewährt

gegenüber feindlichen Herrschaften und Gewalten.

Als Israel fremd war im eigenen Land,

als die hebräische Kultur zwangsweise hellenisiert werden sollte und ihre Religion auch,

legte man Daniel einen Traum in den Mund. Ein Alptraum.

Den Anfang habe ich gekürzt und mit eigenen Worten zusammengefasst:

 

„Ich hatte einen Traum, ein Gesicht in der Nacht.

Ich sah ein dunkles Meer, aufgewühlt wie das Tohuwabohu vor aller Zeit.

Diesem Meer entstiegen vier Ungeheuer, schrecklich anzuschauen:

eines wie ein Löwe, aber mit Adlerflügeln und einem menschlichen Herz,

eines wie ein Bär mit aufgesperrtem Maul, mit Fleisch zerreißenden Zähnen,

eines wie ein Panther, aber mit vier Köpfen und vier Flügeln,

eines – unbeschreiblich! - mit eisernen Klauen,  zahlreichen Hörnern

voller Menschenaugen und einem Maul, das laut daher redete.“

 

Daniel schreckt auf und jeder, der seine Worte liest – im zweiten Jahrhundert – versteht:

Die vier Tiere symbolisieren vier Großmächte,

vier brutale Epochen der Geschichte: die Assyrer, die Babylonier, die Perser

und zuletzt – unbeschreiblich grausam! - die Griechen,

ihr Herrscher Antiochus IV Epiphanes, eine eiserne Spitze mit großspurigem Gerede.

Er drohte, den Tempel zu entweihen und seinen Schatz zu rauben.

 

Liebe Gemeinde, der neue Predigttext zu Himmelfahrt

mutet uns eine düstere Schau der Geschichte zu,

einen Strudel der Gewalt, vom Schöpfer weder gewollt noch gewirkt,

Aus Sicht eines geschundenen Volkes ist alles ein fortgesetzer Alptraum.

Daniel ist für mich expressionistische Herrschaftskritik.

 

In seinen Alptraum lassen sich gegenwärtige politische Erfahrungen mühelos einzeichnen:

Despoten, die Kriege vom Zaum brechen und Menschen zermalmen – Assad, Putin -

Diktatoren, die ihre eigenen Leute einsperren - Kim Jong Un  -

Machthaber, die brutal foltern und schamlos vernichten – Xi Jinping -

Das sind die Tiere des 21. Jahrhunderts! Und wir erschrecken und verstehen:

An diesem Tag, an Himmelfahrt, geht es um die Machtfrage.

Es geht nicht um ein luftiges Fest im Frühling,

sondern darum, wer alle Gewalt hat im Himmel und auf Erden.

Es geht auch um einen unverhofft politischen Traum.

 

Ich lese weiter aus Daniel 7: „Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht,

und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn

und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor den Thron des Ewigen gebracht.

Ihm wurde gegeben Macht und Ehre und Reich,

dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten.

Seine Macht ist ewig und vergeht nicht und sein Reich hat kein Ende.“

 

Das ist die hoffnungsvolle Wende in Daniels Traum:

statt der Tiere, der Ungeheuer aus dem Chaosmeer

einer wie eines Menschen Sohn mit den Wolken des Himmels!

Wie eines Menschen Sohn...aramäisch: bar änosch... einfach ein Mensch!

Einfach ein Reich der Menschlichkeit, der Friedfertigkeit und der Gerechtigkeit.

Welch ein Traum in furchtbaren Zeiten. Damals wie heute.

 

Ein Mensch. Ein Menschensohn. Liebe Gemeinde, das ist – soviel wir wissen -

der einzige messianische Titel, den Jesus für sich selbst gelten ließ.

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“

Der Menschensohn – das nahm Jesus aus Daniel 7, ganz ohne Zweifel,

und das erklärt auch seine zentrale Predigt vom Reich Gottes,

in dem die Sanftmütigen das Erdreich besitzen

und die Friedensstifter Gottes Kinder heißen.

Jesus selbst verstand sich als Menschensohn, der seine Macht allein vom Himmel hat

und dessen Reich nicht von dieser Welt ist.

 

Das gibt zu denken!

In Daniel 7 sind Kritik wie Hoffnung apokalyptisch.

Die Hoffnung ruht nicht mehr auf dieser Erde und ihrer Geschichte.

Die ist unaufhaltsam verloren und ihre Herrscher werden vom Ewigen gerichtet.

Das gibt zu denken!

Auch Jesus war und blieb ein Apokalyptiker,

der nicht mit einer positiven demokratischen Entwicklung

oder mit einer humanistischen Transformation rechnete.

Die Jünger fragten: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“

Und er darauf: „Ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft

und kommen auf den Wolken des Himmels.“

 

Einwandfrei: Daniel sieben!

Ich ahne, dass dieser mir ziemlich unbekannte Text

ein wichtiges Bindeglied ist zwischen Altem und Neuem Testament.

Aber was fangen wir damit an? Mit dieser Apokalyptik??

Ihre Kritik lasse ich mir gefallen, schrill und drastisch, aber ihre Hoffnung?!

Ich weigere mich, dieser Erde und ihrer Geschichte keine Chance mehr zu geben.

Ich weigere mich, diesem Planeten mit seinen Geschöpfen untreu zu werden.

Ich will lieber bleiben und arbeiten und hoffen und lieben, so lange ich da bin.

Ich bin keine Apokalyptikerin. Wie Daniel. Wie Jesus – ohne Zweifel!

 

Ich erinnere mich noch einmal an das Evangelium dieses Tages:

Als Jesus von der Erde entrückt wird, stehen da zwei Engel und sagen:

„Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel?

Jesus hat euch Gottes Geist versprochen,

dass ihr für Menschlichkeit und Gerechtigkeit zeugen sollt

von Jerusalem bis an die Enden der Erde.“

Mit diesem Auftrag gehe ich heute weiter und mit der Hoffnung:

Allen tierischen Machthabern zum Trotz – am Ende regiert der Ewige

und hebt die Menschlichkeit auf den Thron.

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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