Geöffnete Türen - Gedanken zum 1. Advent

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ -

so beginnt für uns der Advent mit dem allerersten Lied des Gesangbuchs.

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“ -

so beginnt für uns der Advent mit der Aussicht auf geöffnete Türen.

Im Großen wir im Kleinen, im Innern wie im Äußern:

„O wohl dem Land, o wohl der Stadt“, die sich neu auf Offenheit und Toleranz besinnt

und dafür Rückhalt findet beim Volk, bei Menschen mit einem weiten Herzen.

„Komm, o mein Heiland Jesus Christ, meins Herzens Tür dir offen ist“ -

Geöffnete Türen sind ein starkes, ein zentrales Symbol des Advent.

Und das kommt – natürlich – von der Bibel her.

 

Christus spricht: Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich einkehren.

Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir.

 

Offenbarung 3, 20. Schon wieder: Offenbarung!

Dieses Mal aus dem Brief an die Gemeinde in Laodicea. Einige von Ihnen erinnern sich:

Vor zehn Tagen erst, am Buß- und Bettag, lasen wir den Brief an die Gemeinde in Sardes.

Tatsache ist, dass der heutige Bibeltext in der Predigtreihe gewandert ist

vom Buß- und Bettag hin zum ersten Advent. Liturgisch ist das sicher korrekt.

Adventszeit ist Bußzeit, auch wenn das nur noch wenige wissen

und es dem Gefühl – auch dem des Kirchenvolks – gegen den Strich geht.

Auch ich hatte – ehrlich gesagt – keine Lust,

Ihnen heute schon wieder die Leviten zu lesen mit einem apokalyptischen Sendschreiben, das noch um einiges härter ist als das vom Buß- und Bettag.

Ich habe mir die Freiheit genommen, mich auf einen einzigen Vers zu konzentrieren,

auf das Wort von der geöffneten Tür, denn Mut ist im Advent nötiger als Moral.

 

Christus spricht: Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten.

Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir.

 

An wen richtet sich diese Klopf-Botschaft?

Soviel will ich doch zur Gemeinde in Laodicea sagen:

Sie saßen – bildlich gesprochen – hinter verschlossenen Türen.

Wie die Jünger zu Ostern. Aus Furcht.

Sie lebten in einer Zeit voller Krisen und Katstrophen, voll unmittelbarer Gewalt.

Sie versuchten, sich zu schützen, indem sie sich zurückzogen, sich unsichtbar machten.

Die Christengemeinde in Laodicea ging in die innere Emigration,

schloss die Türen der Herzen und Häuser und versuchte zu überleben.

Wir erleben Gewalt nicht derart unmittelbar, doch der Rückzug ist auch hier spürbar,

der Rückzug aus der Krisenwelt in die eigenen vier Wände,

weniger aus Furcht als aus dem Gefühl permanenter Überforderung.

Wer kann all diese Katastrophen noch aushalten?

Türen gehen zu, Beziehungen brechen ab. So ist das heute.

 

 

 

Christus spricht: Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten.

Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir.

 

So träumt es der Prophet Johannes in der Offenbarung:

Die Gemeinde schließt sich ein und Christus steht draußen.

Christus steht draußen – darüber musste ich länger nachdenken.

Christus steht draußen im Sturm der Welt.

Christus steht draußen in all den Krisen und Katastrophen. Er setzt sich dem Ganzen aus.

Christus steht draußen bei denen, die leiden,

denen es an Leib und Seele schlecht geht und die sich nicht schützen können.

Im Hebräerbrief heißt es: Christus litt draußen vor dem Tor. Ein Passionsbild.

Christus steht draußen und klopft an bei der Gemeinde, bei jedem Einzelnen.

Wer ihm öffnet, wer ihm über die Schulter schaut, schaut auf die stürmische Realität.

Wer Christus öffnet, steht im Durchzug der Welt.

 

Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an.

 

Ich bin überrascht, wie freundlich das klingt, bittend fast. Christus klopft an.

Er fällt nicht prophetisch mit der Tür ins Haus.

Er bricht nicht apokalyptisch ein wie ein Dieb in der Nacht.

Christus klopft an: Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein!

Ich erinnere mich an allererste Evangelienerzählungen: Levi. Zachäus. Martha.

Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein.

Und Zachäus fasste sich ein Herz, öffnete seine Tür und lud Jesus zu Tisch,

und mit ihm einen ganzen Schwung Zöllner und Sünder.

Zachäus und Martha und Levi ließen sich von der Freundlichkeit Jesu bezwingen,

öffneten ihre Tür, ihr Herz und ihr Haus und erlebten ein Adventswunder.

 

Wie das? - Zachäus zum Beispiel:

Er teilte mit Jesus Brot und Wein und fand ohne jede weitere Belehrung

zu einer neuen Lebenseinstellung. Zur Buße, ja doch, da ist sie wieder.

Zachäus versprach Jesus, seinen Betrug an den Armen wieder gut zu machen.

Er versprach ihm, künftig mehr auf Gerechtigkeit zu achten und er folgte ihm nach.,

So ist die Geschichte ja wohl zu Ende zu erzählen: Zachäus öffnete Jesus die Tür,

stärkte sich mit ihm am Tisch und folgte ihm hinaus ins Freie

und mit ihm die ganze Gemeinde der begnadigten Sünder.

Das meine ich mit dem Adventswunder, das sich bis heute ereignen kann

und sich wirklich immer wieder ereignet.

Wo ein Mensch, wo eine Gemeinde sich ein Herz fasst und Türen öffnet,

wird der Alltag zugiger, rauher, aber die Christusnähe wird unmittelbarer.

In der Freiheit kommt Christus neu an.

 

Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten.

Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir.

 

So beginnen wir den Advent, mit diesem Bibelwort aus der Offenbarung,

einem Buch übrigens, das mit der Vision des neuen Jerusalem schließt,

der neuen Stadt, in der die Tore Tag und Nacht offen stehen.

Das Bibelwort will unser Herz mit Freundlichkeit bezwingen,

dass wir mehr Offenheit wagen,

dass wir uns mit Christus in den Durchzug der Welt stellen,

uns stärken und neu aufbrechen mit ihm.

Gegen kalte Füße hilft am besten Bewegung. Denkt drüber nach!

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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