Gedanken zum Sonntag Laetare 19. März 2023

Jesaja 54, 7-10 - von Ulrike Scholtheis-Wenzel

Eine Ahnung von Ostern - ,

ein Hauch von Frühling, der heran weht - ,

eine leise Hoffnung auf Frieden – das ist dieser Sonntag Laetare.

Hinter dem lateinischen Namen steckt Jesaja 66. Laetare:

„Freut euch mit Jerusalem… Ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom.“

Schön wär’s! In diesem Frühling 2023 sieht es dort ganz anders aus.

Auch der Predigttext für diesen Gottesdienst steht bei Jesaja:

eine leise Hoffnung auf Frieden. Trotzdem.

Eine Ahnung von Ostern. Von neuem Leben und Liebe. Und tiefem Trost.

Ich lese Jesaja 54, 7-10;

 

„So spricht der HERR: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,

aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.

Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen,

aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.

Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor,

dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten.

So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen

und dich nicht mehr schelten will.

Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,

aber meine Gnade soll nicht von dir weichen

und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

 

Wunderbare Worte aus dem Ersten Testament,

unzählige Male kopiert auf Konfirmationsscheinen:

„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,

aber meine Gnade soll nicht von dir weichen

und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Wem galt dies Versprechen ursprünglich? Wer waren die ersten Leserinnen und Leser?

Jesaja schrieb für jüdische Vertriebene im babylonischen Exil. I

im 6. Jahrhundert vor unserer Zeit.

Jesaja schrieb an Frauen und Männer, die sich von Gott und aller Welt verlassen fühlten.

Die wollte er trösten und ermutigen. Und er versuchte es mit Poesie, mit einem Gedicht.

Darin spricht Gott zu Zion wie ein Mann, der nach kurzem Intermezzo

zu seiner Jugendliebe zurück kehrt:

„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,

aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.“

 

Tatsächlich finde ich das Bild der zwischenzeitlich verlassenen Frau,

zu der der Ehemann zurückkehrt, nicht unbedingt tröstlich.

Vielleicht war es das vor zweieinhalb Jahrtausenden. Aber nicht für mich.

Es setzt ein patriarchalisches Bild von Ehe voraus,

in der der Mann kommen und gehen kann, wie er will.

Will ich mir Gott so vorstellen? - Ganz bestimmt nicht!

Das Bild lässt sich aber auch nicht auflösen in ein modernes Partnerschaftsideal.

Dann stimmt es theologisch nicht mehr.

Gott und Zion auf Augenhöhe? - Wohl kaum.

Ich muss mich einfach von diesem Ehegleichnis trennen und behalte über die Zeiten

Gott als Inbegriff ewiger Gnade, tiefer Liebe.

So begegnet er Zion. Und Israel. Und mir?

 

Wo komme ich, wo kommen wir vor in diesem Text des Ersten Testaments?

Mit welchem Recht ziehen wir uns diesem Trost an?

Erstaunlicherweise gibt der Text selbst einen guten Hinweis.

Gott spricht von Noahs Bund. Erinnern Sie sich an die Ur-Geschichte?

Nach der großen Flut verspricht Gott Mensch und Tier, der gesamten Schöpfung

seinen Segen und seinen Frieden.

Das Gedicht des Jesaja greift an dieser Stelle zurück auf die Zeit vor Israel.

Daran denke ich und beziehe seine Worte getrost auf mich, auf uns

in dieser Frühlingszeit 2023.

 

Vergangene Woche. Hiltrud zeigte mir ihr Familienalbum.

„Das hier ist meine Tochter Simone.

Sie hatte Mukoviszidose, seit sie elf war. Mit 19 ist sie gestorben. 1997.“

Hiltrud sah mich an: „Seitdem ist Gott für mich gestorben!“

Was sollte ich dagegen sagen? - Gar nichts.

Trost geht nicht über den Kopf und über Theologie.

Theologie ist nötig, damit Trost nicht billig wird und kitschig.

Ich sagte erstmal gar nichts. Blieb nur ein wenig länger.

Ich muss und kann da doch nicht den lieben Gott verteidigen,

der leider eine Weile nicht da war…

 

Vergangene Woche. Hiam hielt mir ein verwackeltes Handy-Video hin:

„Siehst du, meine Schwester mit ihrem Baby.

Sie schläft unter einer Plane auf dem Pickup. So sieht das aus in Afrin.“

Ich weiß, Hiam kommt aus der syrischen Erdbebenregion.

Was soll ich nun dazu sagen? - Besser gar nichts!

Nur hinschauen und bleiben.

 

Ich schaue noch einmal in Jesajas Gedicht:

„So spricht der HERR, ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,

aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.“

Ist das wirklichTrost? Ich schwanke immer mehr.

Was heißt denn hier „kleiner Augenblick“?

Das Elend dauert schon viel zu lange in Afrin, in Charkiw und auch in Jerusalem!

Gott, mein Gott, warum hast du mich überhaupt verlassen?

Und all diese Leute in Trauer und Elend. Warum überhaupt?

Das macht doch keinen Sinn.

Und von Zorn und Strafe und Schelte will ich gar nichts hören.

 

Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?

Wo bleibt die Osterahnung? Die leise Friedenshoffnung?

Liebe Gemeinde, es bleibt nichts, als Gott beim Wort zu nehmen. Das glaube ich wirklich.

Es bleibt uns nichts übrig, als auf seine Verheißungen zu pochen.

Sich nicht irre machen zu lassen. Gott gegen Gott festzuhalten.

Und an der Seite der Verlassenen zu bleiben. Einfach zu bleiben. Freundlich zugewandt.

Ostern steht noch aus. Auch für uns. Das glaube ich.

Aber Gottes Wort bleibt ein Hauch von Frühling für uns Eine leise Friedenshoffnung.

„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,

aber meine Gnade soll nicht von dir weichen

und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Versprochen ist versprochen!

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