Gedanken zum Sonntag Jubilate 8. Mai 2022

Gedanken zu 1. Mose 1-2, 4a

 

An Anfang – ein Lied!

Am Anfang der Schrift ein Lied von Gottes Schöpfung.

Keine Geschichte, keine Gebote, sondern pure Poesie:

Am Anfang jedes Schabbats spricht die Mutter den Kiddusch

und entzündet die Kerzen:

 

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe;

und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.

Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!

 

So übersetzte Luther das gemeinsame Lied von Juden und Christen,

die ersten drei Verse der Bibel.

Ein Lied. Keine Geschichte. Keine Gebote.

Das ist wichtig, um von vornherein ein Missverständnis auszuschließen:

Wenn die Bibel vom Anfang singt, denkt sie nicht an einen historischen Punkt,

an einen Urknall, aus dem sich so oder so alles Weitere entwickelte.

Sie hat keine Weltentstehungstheorie im Sinn, sondern das frohe Bekenntnis zu Gott,

der diese Erde mit all ihren Geschöpfen schafft und erhält – jeden Tag neu.

Creatio continua – so sah das auch Luther.

Gott schafft Himmel und Erde jeden Tag neu.

Darum ist das Schöpfungslied für uns ein Osterlied,

ein Predigttext zum Sonntag Jubilate.

 

Das Schöpfungslied ist ungefähr 2500 Jahre alt. Exilsliteratur aus Babylon.

In einer religionsgetränkten Kultur,

die hinter jedem Stern, jedem Baum , jeder Quelle einen Gott sah,

dichteten hebräische Priester von dem einen Gott,

der all dies mit seinem Wort und Atem erschuf.

Sie entzauberten den Kosmos und trieben Dämonen aus geängsteten Herzen.

Ihr Lied war Aufklärung, war Ermutigung für Menschen,

die in der Fremde Gottvertrauen und Selbstvertrauen verloren hatten.

Sie sollten die Schöpfung neu lieb gewinnen als Gottes verlässlichen Lebensraum.

 

Wenn wir heute an die Schöpfung denken, haben wir ganz andere Ängste.

Das Singen bleibt einem im Halse stecken angesichts der ökologischen Krise.

Jeder Wetterbericht am Abend wird zum apokalyptischen Szenario.

Die Hitze in Pakistan – eine Folge des Klimawandels.

Die Durchschnittstemperaturen im April – Folge des Klimawandels.

Das große Bienensterben – Folge des Klimawandels.

Nichts gegen Meteorologen in aufklärerischer Mission.

Aber sie lassen mich ohnmächtig im Sofa zurück. Stumm allemal.

Was habe ich dieser Entwicklung denn noch entgegen zu setzen?!

 

Am Anfang – ein Lied! Keine Geschichte. Keine Moral.

Ich vertiefe mich in die ersten Worte der Bibel und suche nach Gedanken,

die mich herausziehen aus der Hilflosiglkeit,

die mich aufstehen lassen. Österlich aufstehen lassen.

 

Ich lese und staune:

Aus dem Chaos schafft Gott eine vielfältige Ordnung.

Das Lied nimmt die Idee einer Schöpfungswoche auf,

um die Erde in ihrer ganzen Diversität zu entfalten.

Der Mensch, Ihr Lieben, der Mensch ist nicht das erste sondern das letzte Geschöpf,

das letzte Puzzle-Teil in einem fruchtbaren Lebensgefüge.

Wir haben die Ruhe dieses Abendgottesdienstes genutzt, das ganze Lied zu lesen.

Die Predigt-Ordnung beschränkt sich aus pragmatischen Gründen auf wenige Verse

und konzentriert so alles auf den Menschen.

Ich schaue auf das Ganze und sehe: Ich bin eingewoben in ein Netz des Lebens.

 

Ich lese und staune:

„Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild,

als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich

hat er, hat sie, hat Gott sie erschaffen.“

So die geniale Nachdichtung der Bibel in gerechter Sprache.

Der Mensch als letztes Geschöpf bekommt eine besondere Würde und Verantwortung.

Als Gottes Bild, als Gottes Gegenüber und Gehilfe soll er für die Erde da sein.

Seine Rolle wird mit demselben Wort beschrieben wie die Evas für Adam.

Als liebendes und geliebtes Gegenüber Gottes sollen wir für das Leben da sein.

Als seine Gehilfen. Und darum nicht hilflos und überfordert.

Es ist Gott, der jeden Tag neu anfängt mit uns.

 

Ein Letztes. Ich lese und staune:

Das Lied endet nicht mit der Erschaffung des Menschen.

Es mündet in den Schabbat.

Die Ruhe Gottes und die Ruhe aller Kreatur ist Ziel dieser guten Lebensordnung.

Sie erinnern sich: Darum beten Jüdinnen und Juden die Anfangsworte der Bibel

zu Beginn des Schabbat.

Ich glaube, nur wer noch ausruht „auf grüner Aue“, nur wer noch staunt und singt,

findet wieder Energie zum vernünftigen Handeln.

Nur wer sich selbst nicht allzu wichtig nimmt.

 

Bei der Predigt-Vorbereitung kam mir ein Satz von Dietrich Bonhoeffer in den Sinn:

„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“

Und ich formulierte versuchsweise:

Nur wer für den Klimaschutz auf die Straße geht, darf singen „Geh aus, mein Herz..“

Aber nein! Am Anfang -ein Lied!!!

Nur wer sich das Singen, das Staunen und die Poesie nicht nehmen lässt,

findet Kraft zum Aufstehen.

Den segnet Gott mit Lebensfülle und Zuversicht.

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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