Gedanken zum Sonntag des Guten Hirten

Predigt zum Sonntag 1. Mai 2022

Ein Kind von eineinhalb braucht mehr als einen Hirten;

ein Kind wie Jamie Lynn: lebhaft und voller Bewegungsdrang,

glücklich, wenn sie nach draußen darf,

strahlend, wenn sie laufen kann auf ihren kurzen Beinchen.

Die Welt ist ja so aufregend groß und schön.

 

Ein Kind von eineinhalb braucht mehr als einen guten Hirten.

Das weiß Jamies Mutter am allerbesten.

Sie selbst ist eine gute Hirtin,

die mehr als zwölf Stunden am Tag auf ihr Töchterchen acht gibt,

es nicht einsperrt, nicht festschnallt, sondern möglichst laufen lässt

und gleichzeitig vor Gefahr beschützt.

Manchmal sind zwei Augen und zwei Hände da fast zu wenig.

Es braucht natürlich mehr: den Vater, die Großeltern, die Freundin, den Nachbarn.

Vielleicht auch eine höhere Macht?

Einen himmlischen guten Hirten?

 

Jesus erzählt von Gott als dem fürsorglichen Menschenhüter,

der den Überblick behält über die große Herde

und gleichzeitig Augen hat für jedes einzelne Schaf,

der seine Herde nicht vergattert, der seine Schafe nicht anbindet

und sie doch bestens leitet und beschützt.

Dem Verlorenen und Verlaufenen geht er nach und sucht es, bis er es wieder hat.

Dem Verirrten bleibt er auf der Spur und trägt es auf den Schultern heim,

der gute Hirte.

 

Da möchte auch manch Erwachsener noch einmal ein Schaf sein!

Nun ja: kein einfältiges und dummes Herdentier natürlich,

aber ein Geschöpf, das Nachsicht, Rücksicht und Barmherzigkeit erfährt,

Schutz und Geborgenheit.

Denn das Gefühl,  verloren zu gehen in dieser bedrohlichen Welt,

die jeden Tag mit einer neuen Krise aufwartet,

das Gefühl,  sich verheddert zu haben im Gestrüpp der persönlichen Beziehungen,

das haben wir auch mit 30, mit 50 oder 80,

das haben wir ja viel bewusster als unsere Kinder oder Enkel.

 

Der Sonntag Misericordias Domini malt uns – den Großen wie den Kleinen -

das Bild des Guten Hirten vor Augen

und gibt uns allen damit ein himmlisches Versprechen:

Kein einziger hier soll verloren gehen oder sich selbst verlieren.

Keine einzige hier soll sich verirren oder verrennen und nicht mehr weiter wissen

Wenn es allein nach Gott geht, dürfen wir frei und geborgen zugleich leben.

Voller Vertrauen und Verantwortung. Beides.

 

Tatsächlich haben wir als Erwachsene und Jugendliche beide Rollen:

Wir sind Schafe in Gottes großer Herde.

Und wir sollen selbst Hirten sein nach seinem Vorbild.

Und da gibt es – darüber führen die Propheten der Bibel immer wieder Klage -

nicht nur gute, sondern auch schlechte Hirten. Und Hirtinnen.

Nämlich solche, die ihre Macht

und das Vertrauen, das ihnen entgegen gebracht wird, missbrauchen;

die denen, die ihnen anvertraut werden, bleibenden Schaden zufügen an Leib und Seele.

Ein bitteres Thema, das zur Realität gehört.

 

In der vergangenen Woche saßen wir zusammen,

um das Konzept unserer Gemeinde zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zu verfassen.

Sie wissen aus der öffentlichen Debatte:

Das ist wichtig und nötig, um schlechten Hirten kein Einfallstor zu bieten,

in der Kirche ebenso wenig wie in Vereinen, Kitas oder Schulen.

Schlechte Hirten sind ja oft gute Bekannte oder enge Vertraute.

Das ist uns nun sehr wichtig:

Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen oder Fluchterfahrungen

sollen die Kirchengemeinde immer als Schutzort erfahren. Niemals als Tatort.

Geborgenheit sollen sie in unseren Gruppen und Gebäuden erleben

und um Himmels willen keine Gewalt.

Weder körperlich, noch verbal oder digital.

Ihr Vertrauen darf niemals ungestraft missbraucht werden.

Das ist die hoch brisante Botschaft des Guten Hirten in unseren Tagen.

Und ihm sind wir alle verantwortlich.

 

Es braucht mehr als einen guten Hirten für ein Schäfchen von eineinhalb.

Heute wird Jamie Lynn getauft.

Dass dies Kind frei und ohne Fremdeln groß werden kann,

dafür bitten wir um Gottes eigenen Beistand und Schutz.

Und dafür wollen wir auch gemeinsam einstehen:

Sie als Eltern, liebe Tamara und lieber Dominik Strehl,

Sie als Patinnen und Paten, liebe Lisa-Marie Huiss, liebe Natalie Schuster

und lieber Jonas Müller und auch wir als Kirchengemeinde.

Die Entscheidung zur Taufe treffen wir heute stellvertretend für Jamie

und übernehmen damit von vornherein ein Hirtenamt:

die wunderbare und verantwortungsvolle Aufgabe,

ein unschuldiges Menschenkind in diese Welt zu begleiten.

Dabei stehen die Freiheit und die Geborgenheit,

die Jamie Lynn durch uns erfahren soll, in direktem Zusammenhang

mit ihrem eigenen Glauben.

Glauben ist ein anderes Wort für Vertrauen

und er wächst aus Begegnungen voller Fürsorge und Freundlichkeit.

Dass das alles gelingen möge, dafür beten wir heute.

Übrigens: Jamie kommt von James und bedeutet: Gott möge schützen!

 

Gott möge schützen – ein Name, ein Gebet!

Gott möge die Kleinen beschützen in ihrer Unbefangenheit.

Gott möge die Großen leiten, gute und  verlässliche Hirten  zu sein.

Gott möge uns schützen.

Und ab und zu lasse er auch uns Große noch einmal Schafe sein,

die er auf den Schultern nach Hause trägt.

Er – der gute Hirte.

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel 01. Mai 2022

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