Gedanken zum Pfingstfest – Sonntag 28. Mai 2023

von Pfarrerin Ulrike Scholtheis-Wenzel

Windsprache und Wunderregen -

eine poetische Pfingsterzählung von Andrea Karimé (die Erzählung finden Sie am Ende dieser Gedanken).

Andrea Karimé ist eine Grundschullehrerin, Kinderbuchautorin aus Köln,

selbst aufgewachsen mit dem Klang vieler Sprachen und zweier Religionen.

In diesem Jahr hat sie mit und für die VEM, die Vereinte Evangelische Mission,

die Alle-Kinder-Bibel geschrieben.

Rassismuskritisch. Vielfaltssensibel. In jeder Hinsicht korrekt.

Aber vor allem einfach nur schön. Ich habe mich gleich in ihr Buch verliebt.

 

Manchmal erfindet Andrea Karimé ganz neue Wörter: Windsprache, Wunderregen.

Manchmal entführen ihre Sätze mich sanft in fremde Welten:

„Draußen leuchtete der Wind wie eine Aprikose. Der Wind flüsterte in Windsprache.“

Da stehen alle Münder vor Staunen offen und

atmen ihn ein, diesen Wind, diese Kraft, diesen Geist.

„Da glitzerten alle Menschen wie Wunderkerzen. Innen und außen.“

Glitzern, knistern, sprühen vor Begeisterung.

„Und sie verstehen alle Sprachen. Alle Sprachen der Welt

und jede Sprache klingt wie Musik“.

 

Eine poetische Pfingsterzählung für unser Taufkind Hannah,

ihre kleinen Freundinnen und Freunde und für uns Erwachsene auch.

Denn so berührt die kirchliche Dogmatik unser Herz, berührt uns und bewegt uns.

Die Grundlage ist und bleibt die biblische Apostelgeschichte.

Da schreibt Lukas, wie die Jünger, die Freundinnen und Freunde Jesu

lebten 50 Tage nach Ostern: hinter verschlossenen Türen!

Bei aller Oster-Erkenntnis noch ganz verhalten, vorsichtig, ängstlich.

Verschlossen von innen. Emotional blockiert.

Da muss erst noch ein Wunder geschehen,

dass die richtige Erkenntnis zu neuer Energie wird. Zu Freiheit und Mut.

Da muss erst noch Pfingsten werden.

 

Pfingsten – Das Wort zählt die Tage der Verschlossenheit. Pfingsten – pentekoste – 50.

50 Tage lebten die Jünger hinter verschlossenen Türen. Für sich.

Sie gewöhnten sich langsam schon daran. (Ihr kennt das noch von Corona )

50 Tage fehlte ihnen jede Energie,

dann fuhr Gott in ihr Haus, in ihr Herz machtvoll und schön wie am Sinai:

im brausenden Wind, im geheimnisvollen Feuerwerk.

Und die Freundinnen Jesu, die Freunde, standen staunend da. Mit offenen Mündern.

Atmeten tief ein und stürmten ins Freie.

 

Als Theologin bin ich begeistert, wie Andrea Karimé hier die neue Schöpfung nachdichtet.

Am Anfang der Bibel heißt es doch: Gott blies dem Menschen seinen Odem in die Nase,

da ward aus einem Klumpen Lehm ein lebendiges Wesen. - Auch sehr poetisch!

Pfingsten ist eine wunderbare Wiederholung dieses Anfangs.

Gott bläst uns das Leben ins Gesicht - wie Wind – ruach – das ist Hebräisch,

wie Atem – pneuma – das ist Griechisch, wie Geist – spiritus – das ist Lateinisch.

1000 Namen für diese neue Energie.

Gott bläst uns -  uns Trauer-Klumpen! - neue Hoffnung ins Gesicht,

macht uns zu lebendigen Kreaturen.

 

Ich merke mir: Pfingsten bedeutet, aus Erkenntnis wird Energie,

aus Richtigkeit wird Schönheit, aus Buchstaben wird Geist, Gefühl, Tat.

Andrea Karimé spricht von der heiligen Geistkraft

und orientiert sich damit an der Bibel in gerechter Sprache.

Das deutsche Wort „Geist“ allein könnte uns sonst in eine völlig falsche Richtung schicken,

in eine geisteswissenschaftliche womöglich. Aber nein!

Der Intellekt ist nicht entscheidend, sondern die innere Lebendigkeit. Die heilige Geistkraft.

 

Es ist höchste Zeit für Pfingsten, denn in vielen Zusammenhängen fehlt genau dies:

die innere Lebendigkeit. Freiheit und Freude.

„Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Umsetzungsdefizit“,

heißt es in einem Zukunftspapier unserer Kirchenleitung (völlig unpoetisch).

Zunächst bezogen auf diese Institution Kirche:

Wir wissen, wir leben in der Minderheit. Wir wissen, wir verlieren an Bedeutung.

Wir wissen das seit Jahren, aber es fehlen Windsprache und Wunderregen

und staunende Schritte ins Freie, Neue, Unbekannte.

Und andernorts ist es ähnlich:

Wir wissen sehr viel über Klimawandel und Konfliktforschung, über Migration.

Wir wissen genug und scheuen doch die praktischen Schritte.

Liebe Leute, dies Volk braucht Pfingsten und die Kirche einen neuen Geist!

 

Andrea Karimè erzählt das Wunder des Staunens.

Mit offenem Mund liefen die Freundinnen und Freunde Jesu ins Freie,

ließen sich verzaubern vom Klang des Windes und der Farbe des Regens.

Mit offenem Mund gingen sie auf Fremde zu, redeten durcheinander

und mit Händen und Füßen und es hörte sich an wie Musik. Wie eine Symphonie.

Genau das ist der Anfang von Pfingsten: mit offenem Mund die Natur zu bewundern

und die Vielfalt der Menschen und die Schönheit der Religionen -

und dabei mit jedem Atemzug heilige Geistkraft einzuziehen.

 

Vor einer Woche lasen wir die neue Kinderbibel auf dem Lindenplatz:

Kinder und junge Eltern vom Kindergottesdienst,

Menschen mit besonderen Befähigungen vom Hüttenberg,

Menschen auch mit verschiedenen Muttersprachen.

Ich glaube, die Unterschiede fielen kaum auf. Rosa und Paulina, Markus und Merle,

Gilda und Ron und Alexandro malten Windsprache und Wunderregen

über die ganze Fensterwand des Freizeitanbaus (auf Papier natürlich).

Mit Feuereifer und Farbkleksen im Gesicht. Und am Ende mit viel, viel Glitzer.

Manche sahen aus wie Wunderkerzen. Innen und außen.

Einige pfingstliche Kunstwerke könnt Ihr hier in der Kirche bestaunen.

 

Liebe Leute, Pfingsten zählt nicht der Intellekt, mit welchem IQ du durch das Leben gehst.

Pfingsten zählt 50 mal mehr die innere Lebendigkeit, Neugier, Leichtigkeit.

Pfingsten zählen Windsprache und Wunderregen und Phantasie,

Ostern unter alles Volk zu bringen.

Wir wissen so viel. Uns fehlt nur der Schwung.

Darum flüstert die heilige Geistkraft uns allen heute noch einmal Hannahs Taufspruch ins Ohr: „Sei mutig und stark. Fürchte dich also nicht und hab keine Angst,

denn der HERR, dein Gott ist mit dir bei allem ,was du unternimmst!“

Staune nur und atme tief durch! Fröhliche Pfingsten

 

 

Und nun noch:

Windsprache und Wunderregen

Eine Pfingsterzählung von Andrea Karimè

An einem Festtag saßen Jesus’ Freund*innen zusammen

in einem Haus. Da ging die Tür auf. Aber niemand kam rein.

Nur der Wind. Er brauste und fauchte und alle Fenster

öffneten sich.

„Vielleicht ist das eine Nachricht vom Himmel!“, sagte eine

Frau und alle liefen raus. Draußen leuchtete der Wind wie eine

Aprikose. Der Wind flüsterte in Windsprache.

 

Alle Freund*innen hatten den Mund offen. Vor Staunen.

Immer mehr Menschen kamen und hörten der besonderen

Windsprache zu. Und immer öffneten sie den Mund und

staunten. Der Wind glitzerte und wehte durch die offenen

Münder in die Menschen hinein.

 

Da regnete es. Doch die Tropfen waren nicht nass.

Sie waren orange. Und rot. Und gelb.

Und sie sahen aus wie winzige Zungen aus Feuer.

Und alle Menschen standen in diesem geheimnisvollen

Feuerwerk. Und sie glitzerten wie Wunderkerzuen.

Innen und außen. Die kleinen Feuerzungen verbrannten

niemanden. Sie streichelten nur.

 

„Das ist die heilige Geistkraft!“, sagte Petrus.

„Ja, die Geistkraft ist in uns!“, riefen alle durcheinander.

Da merkten sie auf einmal, dass sie alle miteinander

sprechen konnten. Sie verstanden alle Sprachen.

Alle Sprachen der Welt. Und jede Sprache klang wie Musik.

 

Da sagte Petrus:“ Ich weiß, was das bedeutet!

Wir sollen der Welt von Gott erzählen. Und von Jesus.

Und von der heiligen Geistkraft. Und wir sollen alle

Sprachen benutzen!“

 

 

Nach Apostelgeschichte 2

 

Andrea Karimé, Alle Kinder Bibel, Neukirchen-Vluyn 2023

 

 

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