Sonntag Exaudi: Gedanken zu 1. Samuel 3

Wie alt war wohl Samuel,

als Gott ihn weckte mitten in der Nacht?

 

Die Bibel sagt: Als Samuel drei war, als er nicht mehr gestillt wurde,

brachte seine Mutter ihn zu Eli nach Silo.

Dahinter stand ein Versprechen, das Hannah Gott und sich selbst gegeben hatte.

Alle Kinderbibeln beteuern, Eli sei nett gewesen, wie ein Vater,

und Samuels Mutter habe ihn auch immer wieder besucht.

Trotzdem! Unser Taufkind Paulina hier ist drei.

Kaum vorstellbar: so eine Millimaus allein in Gottes Haus!

 

Vielleicht war Samuel auch schon sechs.

So sieht er aus auf dem schönen Bild von Marijke ten Cate.

Und dazu ist zu lesen:

Mit sechs kommt man in die Schule. Damals in die Tempelschule.

Samuel – ein Schulkind. Eine hübsche Idee.

 

Aber nein! Er war schon ein richtiger Prophetenschüler,

sagen die Rabbinen, die jüdischen Bibelerklärer.

Er war mindestens Bar Mizwah, ein 13 jähriger, der lesen und schreiben konnte

und neben der Lade schlief (der Lade mit den zehn Geboten).

Samuel – ein Konfirmand. Auch ein interessanter Gedanke.

Die Bibel lässt alle Varianten zu.

 

Jedenfalls: Gott ruft ein Kind, einen Jugendlichen,

damit Hoffnung und Kritik endlich wieder gehört werden.

Die Zeiten waren wirklich schwierig damals.

In der Bibel heißt es: Das Wort Gottes war selten geworden.

Niemand hatte mehr Visionen. Viele wurden depressiv,

wie Eli, der seine Augen vor der Realität verschloss und sich in seine Ecke verkroch.

Ich finde, das alles klingt erstaunlich aktuell.

Auch unsere Zeit ist ziemlich verfahren und hoffnungslos.

Und wenn genau das auch heute gilt:

Gott ruft die Kinder und die Jugendlichen, neu hin zu hören, zu träumen und zu handeln

für eine bessere Welt?!

 

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen!

Dieser Satz ist von Jesus, aus dem Kinderevangelium des Neuen Testaments.

Das kennen bestimmt viele:

Da bringen Mütter und Väter ihre Kinder zu Jesus.

Die Jünger wollen sie wegschicken, aber Jesus sagt:

Gott ruft genau diese Kinder, um sein Wort zu verstehen.

Die Geschichte von Samuel ist für mich das Kinderevangelium des Alten Testaments.

Und beide Teile der Bibel sind sich darin einig:

In Krisenzeiten ruft Gott die Jungen und die Jüngsten.

 

Und wir Erwachsenen?

Ich finde, Eli ist zwar kein gutes Vorbild, aber eine sinnvolle Identifikationsfigur.

Ohne seinen Rat hätte Samuel auch nichts verstanden.

Drei Mal verwechselt Samuel die Stimme Gottes mit der seines alternden Lehrers.

Was hier märchenhaft leicht erzählt wird, wiegt theologisch schwer.

Gott lässt sich nicht mit Donnerstimme vernehmen, sondern im menschlichen Stimmengewirr und wir müssen lernen zu unterscheiden.

Und da kommt nun Eli ins Spiel.

Er ahnt früher als Samuel selbst, was diesen unruhig macht, hellwach mitten in der Nacht

und er schickt ihn auf seinen Weg zu Gott.

Das genau ist unsere Aufgabe als Eltern und Patinnen, als Erzieher und Pfarrerin,

die Unruhe der Kinder zu spüren, ihre Fragen ernst zu nehmen

und ihnen Wege zu zeigen, wenn sie bereit sind, sie selbst zu gehen.

 

Gott ruft ein viertes Mal.

Samuel hatte wach gelauscht und antwortete nun, wie Eli es ihm vorgesagt hatte.

Mit einem klitzekleinen Unterschied. Habt Ihr den bemerkt?

Eli hatte gesagt: Rede, HERR, denn dein Knecht hört (oder dein Kind...).

Und Samuel: Rede, denn dein Kind hört.

Richtig: Samuel spart die Gottesanrede aus,

das verflixte HERR mit seinem patriarchalischen Hintergrund.

Ich merke mir: Samuel braucht wohl den Anstoß von Eli,

aber dann sucht er seinen eigenen Weg zu Gott, seine eigenen Bilder und Namen.

 

Die Stimme Gottes mutet Samuel einiges zu!

Weil die Zeiten damals wirklich sehr schwierig waren.

Sie spricht vom Ende des Tempels, vom Niedergang der Priester und von Elis Tod.

Natürlich will der am nächsten Morgen wissen, was die nächtliche Botschaft war.

Samuel nimmt allen Mut zusammen und sagt Eli die ganze Wahrheit.

Er hält seinem geliebten Vorbild stand.

Und Eli – Respekt! - nimmt die göttliche Kritik aus dem Kindermund hin.

 

Wie würden wir, wir Erwachsenen reagieren,

wenn unsere Kinder uns einfach aber unnachgiebig fragen:

Warum hungern so viele Kinder und wir haben mehr, als wir brauchen?

Warum ist wieder Krieg, gar nicht weit weg von hier?

Wären wir so gelassen wie Eli, wenn unsere jugendlichen Söhne und Töchter

uns kritisch – und sicher lauter und aggressiver als die kleinen – konfrontieren:

Warum fahrt ihr noch Auto? Warum esst ihr noch Fleisch?

Warum habt ihr nicht viel früher auf die Klimakrise reagiert?

Hätten wir Elis Demut?

Würden wir die Fragen unserer Kinder als göttliche Kritik, als Prophetie akzeptieren?

 

Für uns alle – Kinder, Jugendliche und Erwachsene -

ist Paulinas Taufspruch eine gute Vermittlung.

Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten spricht er von Gottes Geist.

2. Timotheus 1, 7: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,

sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. - Den Geist Samuels und Elis!

Dass wir uns gegenseitig aufwecken, hinhören und handeln für eine lebenswerte Zukunft auf dieser Erde. Egal ob wir drei sind, sechs, dreizehn, dreißig oder siebzig!

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel 29.05.2022

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