Christmette in der Matthiaskirche 2022 Gedanken zu Lukas 2, 1-20

von Ulrike Scholtheis-Wenzel

Lukas stellt Weihnachten mitten hinein in die Weltgeschichte:

 

Es begab sich aber zu der Zeit,

dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging.

 

Das ist viel mehr als eine historische Randnotiz,

das ist ein theologischer Paukenschlag.

Lukas stellt Weihnachten mitten hinein in die Weltgeschichte

den Kaiser in Rom von Anfang an in Kontrast zum Kind in Bethlehem.

Und er, der Historiker unter den Evangelisten,

wird seine Feder nicht aus der Hand legen, bis die Botschaft des Kindes,

die Friedensbotschaft in Rom ankommt, im Zentrum der Macht.

Das geschieht durch Paulus auf der letzten Seite seines zweibändigen Werkes.

Das ist Lukas’ subversives, prophetisches Konzept:

Gottes Frieden beginnt unscheinbar, mit einem Kind,

mit kleinen Leuten in einem abgelegenen Winkel der Erde,

aber unaufhaltsam bahnt er sich seinen Weg in alle Welt.

 

Es begab sich aber zu der Zeit,

dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,

dass alle Welt geschätzt würde.

 

Genial, Augustus wider Willen für diesen Friedensweg zu instrumentalisieren!

Alte, prophetische Schule!

Jedenfalls zwingt Augustus mit seinem Steuerbefehl Maria und Josef auf den Weg.

Politisch betrachtet, war diese Volkszählung eine Katastrophe für die kleinen Leute.

Rom saugte sie mit seiner Militärversessenheit aus.

Prophetisch betrachtet, beginnt aber etwas ganz anderes:

Josef und Maria ziehen an den Ort messianischer Verheißungen.

Wie wären sie sonst dahin geraten?

Maria und Josef ziehen in die Davidsstadt, von der schon Micha schrieb:

„Du, Bethlehem, Efrata, die du klein bist unter Tausenden in Juda,

aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei. Und er wird der Friede sein!“

Lukas folgt der politischen Spur und der prophetischen Spur -

und wie er beides zusammenbringt, das ist sein Weihnachtsgeheimnis.

 

Die politische Spur lässt sich mühelos verlängern bis in die Gegenwart.

Und so hat es Lukas sicher auch gedacht,

der ja nicht nur für den historischen Moment schrieb.

Ungezählte Menschen sahen sich im vergangenen Jahr gezwungen,

ihr Zuhause zu verlassen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ließ viele in den Westen fliehen.

Er verstärkte aber auch Armut und Hunger in Nahost oder in Afrika,

wo durch Klimawandel und Corona-Pandemie ohnehin blankes Entsetzen herrschte.

Und so sind mehr denn je geflohen über das Mittelmeer, über die Balkanroute

oder über die östlichen Grenzen. Die halbe Welt scheint in Bewegung

und mittendrin entdecken wir wieder Maria und Josef, das schutzlose junge Paar.

 

Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.

Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln

und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

 

Wirklich eine Szene der Schutzlosigkeit und der Armut!

Selbst wenn Luther sich mit seiner Übersetzung von Krippe und Herberge vertan

und ein fremdenfeindliches Bild von Bethlehem hinterlassen hat.

Fakt ist, es gab für das junge Paar nur ein provisorisches Nachtlager,

wohl in einer der Kalksteinhöhlen außerhalb des Ortes,

in denen sonst Hirten und Herden unterkamen.

Und ihr Kind betteten sie in eine Futtermulde am Boden.

Das zeigen uralte Ikonen besser als alpenländische Schnitzereien.

Der Messias kam in einem sehr armen Milieu zur Welt. Das ist Fakt.

Das ist die politische Spur. Aber die prophetische gilt es auch mitzuhören. Jesaja:

„Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamme Isais … ein neuer Mensch…

Auf ihm wird ruhen der Geist Gottes. Er wird den Armen Gerechtigkeit schaffen.“

In der Armut der Christgeburt leuchtet diese Verheißung auf.

Merke: Weihnachten romantisiert nicht die Armut! Das wäre politisch grundfalsch.

Weihnachten macht die Armen zu Hoffnungsträgern einer gerechteren Welt.

Empowerment. Das ist prophetisch tausendmal richtig.

 

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf den Feldern bei den Hürden,

die hüteten des nachts ihre Herde.

 

Zu den Vertriebenen, den Geflüchteten und Armen

gesellen sich nun noch die gesellschaftlichen Außenseiter.

Auf deren Wort man nichts gab. Deren Aussage vor Gericht kein Gewicht hatte.

Menschen ohne eigene Stimme – soziopolitisch beschrieben, die Hirten.

Prophetisch hört sich das viel besser an.

Da sind die Hirten und Hirtinnen Nachfolger von Mose und David,

Erbinnen von Miriam und Abigajil.

Sie übernehmen Verantwortung für die verlorenen Schafe Israels.

Und ihnen verkündigt Gabriel die Christgeburt zuallererst, vielleicht mit Jeremia:

„Ich will dem David einen neuen Hirten erwecken.

Und dies wird sein Name sein: Der HERR ist unsere Gerechtigkeit.“

 

Großes Finale:

Die Geflüchteten, die Armen, die Verachteten kommen um die Krippe zusammen.

Da erscheinen sie alle miteinander in prophetischem Licht

als Geliebte, als Beschenkte, als Vorboten und Vorbotinnen des Friedens.

Stellen wir uns schlicht dazu! Wer sind wir schon? Wer bin ich schon? -

Ein über alle Maßen strapazierter Zeitgenosse,

ein orientierungsloses Geschöpf, gestresst durch täglich mehr Anforderungen,

ein Opfer potenzierter Krisen?

Oder bin ich ein heimlicher Hoffnungsträger, ein wacher widerständiger Kopf,

ein liebendes, fried-liebendes Herz?

Im Lichte des Christuskindes zählt allein das Zweite und verändert das Erste.

 

Lukas stellt Weihnachten mitten hinein in die Weltgeschichte.

So ermutigt er uns heute politisch-prophetisch. Aber auch persönlich.

Er stellt unsere gestresste Existenz ins Licht der Krippe und sagt:

Du hast das Zeug zum Friedensboten. Zur Friedensbotin!

Halt einen Moment still beim Christuskind und dann geh gestärkt deinen Weg!

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