Mediation in der Osternacht 2024

Matthäus 28, 1-8

Es ist dunkel, als sie zum Grab laufen,

spätabends, als der erste Stern erstrahlt.

So erzählt der jüdische Evangelist Matthäus

mit eigenwilliger Zeitverschiebung.

Der Schabbat ist vorüber

und mit dem ersten Stern, mit der Nacht, beginnt der nächste Tag.

So laufen die Frauen ins Dunkel hinein.

 

Sie sind zu zweit.

Zu zweit nur und kaum zu unterscheiden.

Auch vom Namen her: Maria heißen sie beide.

Sie laufen zu zweit,

aber mit den Gedanken ist jede für sich.

Die Dunkelheit liegt wie ein gnädiger Schleier

über Tränenspuren und Klagefalten.

Die Nacht versteckt die Verletztheit jeder einzelnen.

Schweigend finden sie die Stelle im Garten.

 

Im Schutze der Dunkelheit

sind wir hier in der Kirche

mit all dem, was uns eh nicht schlafen lässt.

„Mein Gott, des nachts rufe ich, doch antwortest du nicht!“

„Ich bin so müde vom Seufzen.

Mit Tränen netze ich mein Lager die ganze Nacht.“ (Pss 22+6)

Die Dunkelheit hat ihr Gutes:

wenn das Gesicht nicht gleich erkannt wird,

wenn Gefühle und Gedanken nicht gleich ablesbar sind

und gnädig verborgen bleiben dürfen.

 

Doch da überfällt die Frauen ein helles Licht.

Fast unbarmherzig.

Göttliche Gegenwart zerreißt die Nacht.

Matthäus erzählt dramatisch: Die Erde bebt. Ein Engel erscheint.

Er rollt den Stein vom Grab, als sei er ohne Gewicht,

und thront obenauf.

Dann folgt seine entscheidende Botschaft:

„Ihr sucht den Gekreuzigten? Er ist nicht hier!

Er ist auferweckt worden, wie er selbst geglaubt hat.“

Und das wiederholt der Engel noch einmal, damit es kein Traum bleibt:

„Jesus ist auferweckt worden. Von Gott, dem Schöpfer.

Auferweckt von den Toten. Hat er das nicht selbst vorher gesagt?“

 

Die Frauen schweigen.

Aber sie schauen einander ins Gesicht. Und erkennen Furcht.

Wir sollte das anders sein nach der Berührung mit dem Göttlichen?

Ihr Inneres bebt noch wie die Erde.

Sollen sie näher zum Grab? Einen Blick hinein werfen?

Aber welchen Sinn hätte das mitten in der Nacht?

Sie lassen das Grab liegen

und halten sich an das Engelswort:

„Jesus ist von Gott auferweckt worden!“

(nicht einfach so auferstanden, wohlgemerkt)

„Er ist auferweckt worden von dem, der aus den Toten ins Leben ruft.

So wie er es selbst hofft.“

Maria und Maria schauen sich an. Sie erkennen einander:

Furcht und Freude. Freude, die immer größer wird,

größer als der hellste Stern am Nachthimmel.

 

Ich mag dieses nächtliche Evangelium.

Ich mag Matthäus Osterwunder.

Da bleibt vieles im Dunkeln, in der Schwebe.

Zweifeln ist erlaubt bis zum Schluss.

Die Auferweckung selbst wird nicht erzählt.

Nirgends in der Bibel. Nirgends.

Sie wird hier aber auch nicht reflektiert, bedacht,

gedanklich zerlegt und wortreich erörtert.

Diese Osternacht bleibt still.

Gefühle sind ungleich stärker als Gedanken:

Furcht und Freude und Staunen.

Ein himmlisches Licht – und sei es eine kleine Osterkerze -

ein Engelswort genügt, um innere Steine ins Rollen zu bringen

und neue Hoffnung auch.

 

Maria Magdalena und die andere Maria

laufen wieder ins Dunkel. Ihre Nacht ist noch lang.

Aber sie tragen Gottes Licht und Wort im Herzen

und einen Auftrag, der ihrem Leben neuen Inhalt gibt.

Sie sollen selbst Engel sein, Botinnen des Höchsten.

„Erzählt allen Schülern Jesu:

Gott hat den Gekreuzigten aus den Toten gerufen.

Und er wird euch voran gehen.“ Das hat der Oster-Engel auch noch gesagt.

„Jesus wird euch voran gehen durch alle Nächte und Tage

bis an der Welt Ende.“

Und so laufen die zwei – immer noch durch die Nacht -

aber mit Herzensleichtigkeit.

 

Bei uns zeigt sich langsam das Morgenlicht

(christlich – unchristliche? - Zeitverschiebung).

Wir tragen unsere Hoffnungslichter behutsam im den Ostertag.

Was erwartet uns an Furcht? An Freude?

An schönen, ungeahnten Begegnungen?

An schlimmen Nachrichten, starken Herausforderungen?

Heute und in der nächsten Zeit: helle Nächte? Dunkle Tage?

Behaltet im Herzen, was ihr in dieser Nacht gehört habt:

„Gott hat den Gekreuzigten aus den Toten ins Leben gerufen.“

Und ihm nach alle, denen fremdes oder eigenes Leid

die Kehle zuschnürt.

Der Auferweckte geht uns voran durch Nacht und Tag

in ein neues Leben. Frohe Ostern!

 

 

Ulrike Scholtheis-Wenzel

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